Possenspiele

Schlagwort: England (Seite 29 von 33)

Inspektor Jury schläft außer Haus / Martha Grimes

In unserer Rubrik Buchbesprechungen kommen wir heute zu Martha Grimes und ihrem ersten Band der Inspektor Jury-Reihe: Inspektor Jury schläft außer Haus. Im Original „The Man with a Load of Mischief“. Das Buch erschien 1984 und die ganze Reihe ist in England angesiedelt, obwohl die amerikanische Autorin dort nie gelebt hat, aber begeistert ist vom englischen Flair.

Vielleicht ist es für einige Leser noch zu früh, Martha Grimes als klassische Autorin zu bezeichnen. Mit 84 Jahren ist sie immer noch sehr aktiv und veröffentlicht im Durchschnitt ein Buch pro Jahr. Für ihre Jury-Reihe wurde sie mit dem Nero Award des Wolfe Packs  ausgezeichnet, jener literarischen Vereinigung,  die sich den Arbeiten Nero Wolfes verpflichtet fühlt und ähnlich wie die Mystery Writers of America mit ihrem Edgar jährlich einen Preis vergibt. 2012 gewann sie eben dort den Edgar Grand Master Award. Sie hat allein in den USA rund 10 Millionen Bücher verkauft und ist in 17 Ländern veröffentlicht worden. In Deutschland ist sie sehr beliebt, denn dort wurde vor ein paar Jahren eine Fernsehserie ausgestrahlt, die auf ihrer Richard-Jury-Reihe basiert.

Zu schreiben begonnen hatte Grimes erst mit etwa 50 Jahren. Vorher kämpfte sie gemeinsam mit ihrem Sohn gegen eine Alkoholsucht an. Und auch dann hatte es noch einige Jahre gedauert, bis sie zum ersten Mal auf den Bestsellerlisten auftauchte. Erst mit 60 Jahren verdiente sie ernsthaft Geld mit ihrer Arbeit. Dennoch wird Martha Grimes von allen Seiten dafür gelobt, wie sie den traditionellen britischen „cosy mystery“ aufgefrischt, und vielleicht sogar neu erfunden hat.

Cosy Mystery – Gemütliche Krimis

Ihre Richard-Jury-Bücher gehören sicherlich zu den gemütlichen Krimis. Leichte, entspannende Lektüre, die großartigen – typisch englischen – Humor bietet, aber auch viel Blut, Mord und Totschlag.  Grimes Geschichten spielen in der Regel in malerischen Dörfern und weisen eine lange Liste schrulliger Charaktere auf, doch die Themen können durchaus ernst und beunruhigend sein. Verlassenheit, Einsamkeit, zwanghafter Neid und Gier, Kinder, die für sich selbst sorgen müssen, verkümmerte romantischen Beziehungen – ihre Palette umfasst alle menschlichen Probleme. Ihr ausgeprägtes Gespür für Orte, ihre geschickte Komik und ihre witzigen Charakterstudien werden ebenfalls hoch geschätzt.

Richard Jury arbeitet bei New Scotland Yard, wird aber bei seinen Ermittlungen oft von Melrose Plant unterstützt, einem wohlhabenden Aristokraten, der seinen Sitz im Oberhaus aufgegeben und auf seine Titel verzichtet hat. Unterstützt werden die beiden von einer Reihe Figuren, die auch Charles Dickens entworfen haben könnte, und die ihnen helfen – oder sie vielleicht auch behindern. Dazu gehört Sergeant Wiggins, Jurys hypochondrischer Handlanger, der alles über die neuesten Gesundheitstrends weiß. Plants Mitbewohner in Long Piddleton tauchen immer in irgendeiner Form in der Geschichte auf, und sie sind alle äußerst exzentrisch und oft ärgerlich: der Besitzer des Antiquitätengeschäfts, der kleinkarierte Buchhändler, die reiche, aber großzügige Witwe, Melroses nervige und erbschleicherische Tante Agatha und viele mehr. Auch Jurys Nachbarn verdienen eine Erwähnung, wie Mrs. Wassermann, die Holocaust-Überlebende, die als Mutterfigur fungiert und übermäßig nervös auf Sicherheit bedacht ist; und die glamouröse Carole-Anne, eine Frau unbestimmten Alters, die als Wahrsagerin in Covent Garden arbeitet und Jury regelmäßig in Verlegenheit bringt.

Die beiden Ermittler haben ein gutes Arbeitsverhältnis, obwohl sie sich wie Pech und Schwefel gegenüberstehen. Jury ist nachdenklich, sensibel, sehr verschlossen und hat Pech in der Liebe. Plant ist ein eher skurriler und amüsanter Charakter. Er ist leichtlebig, intelligent, gesellig und nicht so nachdenklich wie Jury. Er hat etwas von Dorothy L. Sayers‘ Lord Peter Wimsey an sich.

Auf die Frage, warum sie die meisten ihrer Romane in England spielen lässt, erklärte Grimes, dass dies die Art von Büchern ist, die sie gerne liest:

„Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, die Romane woanders spielen zu lassen. Wenn ich nach England fahre – und das tue ich ein-, zweimal im Jahr – bleibe ich nie sehr lange. Ich mache mir keine Notizen. Ich bin fasziniert von den dortigen Namen. Die Namen der Dörfer, der Straßen. Namen, die mich aus irgendeinem Grund wirklich ansprechen. Die einzige Recherche, die ich betreibe, ist die zufällige Suche nach einem Pub, dessen Namen ich einfach fantastisch finde. Und dann gehe ich hinein – das ist die Recherche.“

Das ist umso ergreifender, wenn man bedenkt, dass die Autorin eine trockene Alkoholikerin ist und daher nicht das köstliche Bier in den Kneipen trinken kann, die sie inspirieren.

Will man die Art ihrer Romane etwas näher bezeichnen, drängt sich als erstes der Vergleich mit ihrer Landsfrau Elizabeth George auf, die ihre Krimis ebenfalls in Großbritannien ansiedelt. Doch ihr Humor und ihre genaue Beobachtungsgabe sind eher mit denen von Louise Penny vergleichbar, und die gelehrten Randnotizen erinnern an P. D. James. Außerdem kann sie ebenso gut über das kleinstädtische Amerika mit seinen kleinlichen, grausamen und exzentrischen Charakteren und Geheimnissen schreiben, wie sie in ihre Emma-Graham-Serie beweist.

Für diejenigen, die neu in die Jury-Serie einsteigen und sie nicht in der richtigen Reihenfolge lesen, können sie verwirrend und etwas gewöhnungsbedürftig sein. Wie Penny scheint sich auch Grimes in ihren neueren Büchern von den Krimis zu entfernen und sich mehr den Charakterstudien zuzuwenden, und sie seziert die Unzulänglichkeiten nicht nur von Einzelpersonen, sondern einer ganzen Gemeinschaft. Die Ermittlungen werden in vielen Gesprächen geführt – in Kneipen oder Teestuben – und das kann sich manchmal ständig wiederholen, da Hypothesen aufgestellt, diskutiert und wieder verworfen werden. Der wissenschaftlich Interessierte wird sagen, dass die Bücher in keiner eindeutigen Zeit verankert sind: Die Figuren scheinen nie zu altern, sie scheinen keinen Zugang zu den neuesten Geräten zu haben und passen doch auch in kein Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Wer also nach einer gehörige Portion Realismus – was immer das auch sein mag – sucht, wird dieses verbrecherische und zeitlose Zauberland kaum zu würdigen wissen.

Aber gerade diese zeitlose Qualität und die Konzentration auf die Beziehungen sind es, die bestimmte Leser bezaubern und unterhalten und sie immer wieder zurückkommen lassen werden.

Die Bücher sind bei Rowohlt erschienen.

Die Schatten von Edinburgh / Oscar deMuriel

Alte Sendung aus dem „Phantastikon-Podcast“

Der viktorianische Krimi, oder die Gothic Mystery, hat mittlerweile eine Vielzahl an Ablegern, so dass man sich wundert, wenn ein neuer Autor für sich beschließt, seine Geschichte ebenfalls in dieser Zeit anzusiedeln. Man fragt sich, ob dieses ganz spezielle historische Setting nicht schon längst überlaufen ist. Meine Antwort darauf ist ein klares Nein, denn auch, wenn es viele Reihen und Romane gibt, die das 19te Jahrhundert aufsuchen, sind wenige davon wirklich herausragend. Es wird wohl kaum möglich sein, die DeQuincey-Trilogie von David Morrell – die wir im Phantastikon bereits besprochen haben – vom Thron zu stoßen, aber auch darunter ist noch eine Menge Platz… für Frey und MacGray.

Das Interessante an Oscar de Muriel, dem Autor der ausgezeichneten Frey und MacGray – Reihe, ist, dass er in Mexico City geboren wurde, also in einem Land, das nicht gerade für sein nebelverhangenes Gaslicht bekannt ist. Er kam ins Vereinigte Königreich, um seinen Doktortitel in Chemie zu machen und arbeitete als Übersetzer, um sich in dieser Zeit über Wasser zu halten. Wer jemals in Großbrittanien war, der weiß, wie einfach es ist, dort die Idee für einen gruseligen Krimi zu bekommen. Während London mittlerweile literarisch überlaufen ist, drängen immer mehr Autoren ins schottische Edinburgh. DeMuriel hat dann auch nicht gezögert, einen Schotten und einen Engländer als Ermittler einzusetzen, deren Gegensätze von Beginn an das raffinierte Hintergrundrauschen bilden, denn es dürfte allgemein bekannt sein, dass hier nicht gerade wenig Konfliktpotenzial vorhanden ist. Sicher kann man behaupten, dass DeMuriel als Ausländer auf Stereotype und Facetten zurückgreift, die Gemeinplätzen ziemlich nahe kommen, aber so einfach sollte man es sich nicht machen, denn man merkt zu keiner Zeit, dass der Autor kein Brite ist. Das allerdings sage ich natürlich selbst als Nicht-Brite.

Was man von einem typischen historischen Roman immer erwarten kann, ist die jeweilige Atmosphäre, die man als Leser genau in der Zeit sucht, in die man sich begibt. Die meisten Leser wissen, was sie wollen, das ist einerseits der Fluch aber auch der Segen der Genres. Es gibt im viktorianischen Krimi zwei definitive Settings: eines gruppiert sich um die Art, wie Sherlock Holmes seine Fälle löste, ein anderes fühlt sich Jack the Ripper verbunden. „Die Schatten von Edinburgh“, das im Original viel passender mit „The Strings of Murder“ tituliert ist, fühlt sich letzterer Figur verbunden, zumindest, was die konkrete Zeittafel betrifft. Es ist 1888 und der Ripper versetzt London in Angst und Schrecken. In Edinburgh allerdings geschieht zur gleichen Zeit ein Mord an einem Geiger und Scotland Yard hat nun die Befürchtung, dass es sich um einen Nachahmungstäter handelt. Da es im CID, dem Crime Investigation Department zu massiven Veränderungen in der Führungsriege kommt, findet sich Inspektor Frey bald als ein Baueropfer wieder. Er hat die Wahl, Scotland Yard zu verlassen, oder den merkwürdigen Fall in Schottland anzunehmen. Er selbst ist aus gutem Hause und hätte es nicht nötig, sich auf Verbrecherjagd zu begeben, aber die Arbeit zum Schutz der Gesellschaft ist die einzige, die ihm etwas bedeutet, und so nimmt er den Fall unter dem vagen Versprechen an, dass er seinen Status als Inspektor in London nach erfolgreicher Mission wiedererlangen könnte.

In Schottland trifft er auf Detective MacGray, in Edinburgh besser bekannt als Nine Nails, weil er nur neun Finger hat, und dessen Sonderabteilung für „Erscheinungen“. Diese Abteilung dient als Deckmantel für die heikleren Fälle, an denen Scotland Yard arbeitet, die nicht selten ins Okkulte abdriften. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht ganz klar, worauf die Geschichte abzielen wird. Frey ist bald genervt von McGrays seltsamen Methoden, seiner Gespensterjagd und der rückständigen Mentalität seiner neuen Kollegen in der Abteilung, aber da sein guter Ruf auf dem Spiel steht, ist er entschlossen, den Fall zu Ende zu bringen und den Schuldigen zu finden. Als jedoch eine Leiche zur nächsten und noch einer weiteren führt, deren Tatorte alle in satanische Umstände getaucht sind, wird Frey klar, dass er vielleicht überfordert ist und McGrays Fachwissen über das Okkulte doch noch braucht.

Trotz der Ernsthaftigkeit des kniffligen Falles ist der Ton des Romans durch den starken Kontrast zwischen dem wohlgeborenen Engländer und den als rückständig dargestellten Schotten, ein beabsichtigt humorvoller, der allerdings gerade deshalb nicht wenig Kritik einstecken musste. Wie ich zu Beginn bereits erwähnt habe, kann DeMuriel natürlich nicht anders, als auf Plattitüden zurückgreifen, die in modernen Zeiten oft absichtlich falsch und negativ verstanden werden, weil kaum mehr jemand den Geist besitzt, zu erkennen, wie gut der Autor den Geist der Zeit eigentlich einfängt und dass ein historisches Setting eben nur dann funktioniert, wenn es dort keine Geschichtsklitterung gibt.

Kein Instrument eignet sich besser für eine teuflische Legende als die Geige. Und die spielt in diesem Roman eine prominente Rolle, vor allem, weil DeMuriel selbst seit Langem Geige spielt. Es fallen Namen wie die der berühmten Geigenbauer Antonio Stradivari und Nicola Amati und natürlich die des großen Virtuosen des Instruments, Niccolò Paganini.  Die Kerngeschichte dreht sich jedoch um Guiseppe Tartini und seine Teufelstrillersonate, die als eine der schwierigsten Kompositionen für die Violine gilt. Tartini hat darüber folgendes geschrieben:

„Eines Nachts im Jahre 1713 hörte ich den Teufel im Traum eine Sonate von derart erlesener Schönheit spielen, dass ich verzückt, hingerissen und verzaubert war; mir stockte der Atem, und ich erwachte. Dann griff ich zu meiner Violine und versuchte die Klänge nachzuvollziehen. Doch vergebens. Das Stück, das ich daraufhin geschrieben habe, mag das Beste sein, das ich je komponiert habe, doch es bleibt weit hinter dem zurück, was mich im Traume so sehr entzückt hatte. Denn wohl hätte ich meine Violine in zwei Teile zerbrochen und die Musik für immer aufgegeben, wenn es mir gelungen wäre, die Freuden jenes Traums tatsächlich aufzuzeichnen.“

Das Geheimnis der Musik und der Virtuosität kokettierte schon immer mit dem Übernatürlichen; und das tut auch dieser Roman. Aber er kippt nie – ähnlich wie die Musik –  in diese Richtung. Die Morde sind raffiniert, der Mörder eine tragische Figur, Frey und MacGray interessant genug, um diese Reihe weiterzuverfolgen.

Das Buch erschien bereits 2017 bei Random House und umfasst derzeit sechs Bände von den geplanten neun.

Die Gesänge der Banshees

Als sie gemeinsam am Küchentisch saßen, die Blicke gebannt in die Holzmaserung drückten, die je nach Fantasie etwas anderes zeigte, sprach keiner ein Wort. Die Natur spuckte aus, es war Stille im Universum. Nur die Steine sprachen miteinander. Die ersten Stufen hell erleuchtet. Nebel, die Treppe aus Knochenmark geformt, in der Mitte schwielig, braun zurückgelassene Fußabdrücke, Dornenstaub darüber, Gestalt des Wahnsinns, Augensaft : die Tränke der Nymphen; Hermann bellte, die Lippen straff und geöffnet, künstliches Loch, die Zunge wie ein Rollmops, großmütiger Ausdruck, dieses Gesicht, das vielleicht eines Tages das eines anderen sein wird, mit Doppelkinn, Tränensäcken, und anderer Überschüssen im Gesicht eines Mannes.

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