Possenspiele

Schlagwort: H.P. Lovecraft (Seite 33 von 34)

Der Nihilismus des Rust Cohle

Es gibt Filme und Serien, die pumpen die Erwartungshaltung von Beginn an über jeden erwartbaren Horizont. Die meisten ambitionierten Werke – und das trifft ebenso auf Literatur zu – scheitern, wenn sie scheitern, am Ende. True Detective 1 scheitert nicht wirklich, aber die letzte Folge der Mini-Serie hält der unglaublichen Dichte nicht stand, was wirklich schade ist, denn bis dahin hat man nicht weniger als das Beste, was eine Mystery-Serie überhaupt aufs Parkett bringen kann vor Augen. Nicht weniger als eine Sensation.

Ein Tatort @HBO

Die Storyline, die sich an das moderne Erzählen durch Verschachtelung hält, die erzeugte, dichte Atmosphäre, die Wahl der Musik, sowie die fabelhafte Leistung der beiden Hauptdarsteller (Woody Harrelson, Matthew McConaughey) sind in der Summe nicht weniger als perfekt.

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Revival / Stephen King

Stephen Kings großartiger neuer Roman „Revival“ bietet das atavistische Vergnügen, in der Dunkelheit näher ans Lagerfeuer zu rücken, um einer Geschichte von jemandem zu lauschen, der genau weiß, wie er seinen Zuhörern eine Gänsehaut verschaffen kann, indem er ihnen zuflüstert: „Schau nicht hinter dich“.

King war immer großzügig, wenn es darum ging, die Autoren zu nennen, die ihn inspiriert haben. Diesmal nennt er Arthur Machens The Great God Pan (1894), eine der besten Fantasy-Geschichten, die je geschrieben wurden.

Es mag schwierig erscheinen, auf Anhieb zu beurteilen, was man von King in letzter Zeit zu erwarten hat. Galt er in den 70er Jahren noch als Meister des Horrors, so hat er dieses Etikett längst an eine jüngere Generation abgegeben und wird allgemein als „Chronist des amerikanischen Alltags“ anerkannt. Die Grotesken, die übersinnlichen Spinnereien etc. hat man ihm längst verziehen. King ist eindeutig im Mainstream angekommen, er erhält den Beifall des literarischen Establishments, über das er sich gerne lustig macht. Der große amerikanische Roman 11/22/64 war nicht der einzige Grund dafür, aber er hat geholfen. Die Meinung der literarischen Torwächter geht eindeutig dahin, dass King einer der ganz großen amerikanischen Erzähler wäre, wenn er nur auf seine exzentrischen Ausbrüche verzichten könnte. Im Umkehrschluss heißt das natürlich nichts anderes, als dass er es längst ist. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Harold Blooms unermüdlicher und scharfer Kritik an Kings Sprache und den feierlichen Adjektiven, die sich in den letzten zehn Jahren angesammelt haben, um Kings Bedeutung als Schriftsteller zu beschreiben.

Beides führte dazu, dass die Torwächter widerwillig anerkannt haben, den Kerl nicht einfach aussperren zu können.

King hatte schon immer mehr mit Ray Bradbury gemeinsam als mit Chuck Palahniuk, und er sitzt trotzdem komfortabel im Kanon der „amerikanischen Verrückten“ wie etwa David Lynch, hat indes eben wenig gemein mit dem einfach gestrickten Ergüssen eines Dean Koontz oder Wes Craven.

In Revival aktualisiert King Machens fin-de-siecle-Setting und den erotischen Subtext, in dem ein 17-Jähriges Mädchen aufgrund einer primitiv ausgeführten Lobotomie die Befähigung erhält, in die erschreckenden Abgründe zu blicken, die unserer Welt zugrunde liegen. „Revival“ öffnet sich an einem Ort, der unserer modernen Welt beinahe so fern ist wie Machens gaslichtbeschienenes London: dem ländlichen Harlow, Maine, in den frühen 60er Jahren. Jamie Morton, der Erzähler des Romans, erinnert sich an einen Vorfall, der geschah, als er sechs Jahre alt war, das jüngste von fünf Kindern einer ausgelassenen, großherzigen Kinderschar. Er ist draußen, spielt mit seinen Spielzeug-Soldaten, als ein Fremder auftaucht.

Der Fremde ist Charles Jacobs, der neue Pfarrer von Harlow, glücklich verheiratet mit einer hübschen Frau und Vater eines kleinen Kindes. Jacobs freundet sich schnell mit Jamie an (King lenkt hier sofort von jeder Anspielung auf Kindesmissbrauch ab, denn darum geht es nicht). In seiner Garage zeigt er dem Jungen ein Wunder: ein realistisches Tischmodell der Umgebung, mit einem echten Miniatursee und Strommasten. Mit einer Handbewegung erhellt Jacobs die Szenerie. Straßenlaternen leuchten auf, eine Jesusfigur wandelt über die Wasseroberfläche des Sees.

Jamie ist begeistert, auch als Jacobs das Geheimnis des scheinbaren Wunders lüftet: „Elektrizität“, sagt der Geistliche später, „ist eines von Gottes Toren in die Unendlichkeit“. Jamie wird zum Ersatzsohn für Jacobs, eine Rolle, die Jamie auch nach der Tragödie und dem Verschwinden Jacobs beibehält.

Alle Themen des Romans sind in dieser frühen Szene angelegt: das Tauziehen zwischen Wissenschaft und Glauben; die Fähigkeit eines guten Krämers, sei es ein Prediger oder ein Schausteller, eine Menschenmenge mit dem Versprechen auf Heilung in seinen Bann zu ziehen. Vor allem aber untersucht der Roman die Natur des Machtmissbrauchs, sei es durch Liebe, Religion oder durch Jacobs lebenslange Obsession: Elektrizität.

Wie so oft entwickelt King die Geschichte schleichend und mit viel Gefühl für seine Figuren. Viele von ihnen sind gezeichnet von Trauer und Verlust, von Abhängigkeit und Enttäuschung. Der Zahn der Zeit hinterlässt seine Spuren, nagt an der Jugendliebe ebenso wie an den einstigen Ambitionen. Der Detailreichtum von Jamies Kindheit in den 60er Jahren – Vanille-Schoko-Erdbeer-Eiscreme, der Geruch von Regenwürmern, ein halb gerauchter Joint, der in einer Zuckerdose versteckt wird, die Freuden, die das Erlernen des E-Gitarrenspiels bereitet, während Jamie sich auf eine Karriere als Sessionmusiker vorbereitet – ist wie immer bei King mit außergewöhnlicher Liebe zum Detail ausgearbeitet.

Glück ist bekanntlich literarisch schwer interessant darzustellen. Idyllen werden nur zu dem Zweck konstruiert, sie zu zerstören. Aber Kings Erzählung gibt die Sehnsucht nicht auf, um eine kaputte Welt zu verachten, in der Jamie wie wir alle leben muss.

Jahrzehnte nach Jacobs Verschwinden aus Maine, begegnen sich er und Jamie auf einem Jahrmarkt wieder. Der ehemalige Prediger überrascht seine Zuschauer dort mit elektrischen Kunststücken. Später, in seiner Garage, benutzt Jacobs seine geheime Elektrizität, um Jamie per Elektrokrampftherapie von seiner Heroinsucht zu heilen. Aber die beiden trennen sich, als Jamie die wahren Absichten seines ehemaligen Freundes erkennt. „All deine Kunden sind nichts weiter als Versuchskaninchen“, sagt Jamie. „Sie wissen es nicht. Ich selbst war ein Versuchskaninchen.“

Aber das war noch nicht ihre letzte Begegnung. Jamie findet sich in Jacobs bösartige Umlaufbahn gezogen. Er findet immer mehr heraus, was mit den Menschen geschah, die sich von Jacobs „heilen“ ließen, denn es kam zu verheerenden Nebenwirkungen.

Und hier beginnt sich der Roman mit Machens Meisterwerk zu verzahnen. Kings zurückhaltende Prosa explodiert förmlich in ein Ende, das modernen Realismus mit dem kosmischen Schrecken, der an H.P. Lovecraft und an den Filmklassiker „Das grüne Blut der Dämonen“, erinnert. Die quälende Beziehung zwischen Jamie Morton und Charles Jacobs erreicht die Trauerschattierung einer großen Tragödie.

Was dem Buch ebenfalls gut bekommt, ist, dass man, wie bei den letzten King-Veröffentlichungen, den Originaltitel beibehalten hat, anstatt wie in der Vergangenheit puren Schwachsinn zu fabrizieren.

Originaltitel: Revival
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 512 Seiten

Poe und Lovecraft

Geschrieben von Robert Bloch

Ich vermute, dass sich Vergleiche zwischen Edgar Allan Poe und Howard Phillips Lovecraft nicht vermeiden lassen, in den letzten Jahren (1973) sind sie bereits unüberschaubar geworden. Ich werde die üblichen Hinweise auf die Ähnlichkeiten in ihrem Werk nicht wiederholen – es wird also grundsätzlich keine Erwähnung von schwarzen Katzen, Wiedergängern oder antarktischen Schauplätzen geben. Auch habe ich nicht die Absicht, mich auf die Seite jener zu schlagen, die behaupten, dass es keine wirklichen Berührungspunkte gibt, außer den üblichen Figuren und Themen, die allen Geschichten des Genres gemeinsam sind.

Für mich ist das eine unhaltbare Aussage: Lovecraft war, wie jeder Autor von Fantasy oder Horrorliteratur nach Poe, notwendigerweise von den Werken seiner Vorgänger beeinflusst – und in gewisser Weise muss sein Werk von diesem Einfluss abgeleitet werden. Tatsächlich zeigt die Hommage an Poe in Lovecrafts Essay Supernatural Horror In Literature einen Grad der Wertschätzung und Bewunderung, die keinen Zweifel am tiefen Eindruck aufkommen lässt, den dieser frühe Meister auf ihn ausübte. Jedoch stellt für mich die Untersuchung ihrer Hintergründe und ihrer Persönlichkeiten den fruchtbarsten Bereich dar, beide miteinander zu vergleichen.

Schauen wir uns die Fakten an. Sowohl Poe als auch Lovecraft wurden in New England geboren. Beide wuchsen in jeder Hinsicht ab einem frühen Zeitpunkt ihrer Kindheit vaterlos auf. Beide hegten eine lebenslange Liebe zur Poesie und den Elementen einer klassischen Ausbildung. Beide nutzten einen altertümlichen Stil und waren beherrscht von einer persönlichen Exzentrik, die sie die ganze Zeit bewusst pflegten.

Obwohl Poe einen Teil seiner Jugend in England verbracht hatte und im späteren Leben an der Atlantikküste entlang reiste – und obwohl Lovecraft sich für einen Urlaub nach Kanada und ein paar Jahre vor seinem Tod hinunter nach Florida gewagt hatte – bewegte sich keiner der beiden je westlich der Appalachen. Lovecraft umging sie, um E. Hoffman Price einen kurzen Besuch in New Orleans abzustatten, aber grundsätzlich waren er und Poe Männer des Ostens. Ihre Auffassung war provinziell, und das sogar eng gesteckt.

Beide Männer waren gegenüber Ausländern in der Masse misstrauisch: beide hegten eine tiefe Bewunderung für die Engländer. Diese Haltung ist offensichtlich in ihrem Werk vorhanden, und es gibt mit einigen Weglassungen und Veränderungen die Hauptströmung des amerikanischen Lebens wieder.

Ein Leser, der versucht, einen kurzen Blick auf die Vereinigten Staaten  von 1830 – 1850 zu werfen, würde eine kleine Erleuchtung bei der Lektüre von Poes Gedichten und Erzählungen bekommen. Das war die Zeit, wo die ganze Nation einen westlichen Schub bekam, beginnend bei der Wanderung der Trapper und Pelzhändler in den Rocky Mountains bis zum Ende des Goldrauschs in Poes Todesjahr. Und keine Spur findet sich davon in seinem Werk.

Bryoneske Helden, die in abgeschiedenen Britischen und kontinentalen Örtlichkeiten kaum die Amerikanischen Verhaltensweisen reflektieren, den Fall des Alamo, den Mexikanischen Krieg und den wachsenden Aufruhr gegen die Sklaverei.

Auch wird ein Leser kaum weniger typisch Amerikanische Protagonisten unter den Anhängern, Professoren und regional Orientierten finden, die Lovecrafts Erzählungen dominieren, in denen es kaum einen Hinweis auf die Roaring Twenties oder die Große Depression gibt, die im darauffolgenden Jahrzehnt folgte. Abgesehen von ein paar Bemerkungen über den Zustrom von Immigranten und der damit verbundenen Zerstörung alter Traditionen und Orientierungspunkten, sowie die kurze Erwähnung Intellektueller, wilder Studentengruppen, ignorierte Lovecraft das Nachkriegs-Jazz-Jahrzehnt völlig: Coolidge, Hoover, FDR, Lindbergh, Babe Ruth, Al Capone, Valentino, Mencken und die Prototypen des Bürgertums haben keine Existenzberechtigung in HPLs Gefilden. Es ist schwer zu glauben, dass Howard Philipps Lovecraft ein literarischer Zeitgenosse Hemingways war.

Und noch einen weiteren Vergleich zwischen Lovecraft und Poe gibt es; einen von ungeheuerlicher Wichtigkeit in jeder Hinsicht auf ihr Werk, weil er den Vorwurf mildert, dass zwei Schriftsteller der aktuellen Welt völlig ahnungslos und unrealistisch gegenüberstanden.

Natürlich verweise ich auch auf ihr Interesse an der Wissenschaft. Beide, Poe und Lovecraft, waren scharfsinnige Beobachter der wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Entwicklungen ihrer Tage, und beide verarbeiteten die neuesten Erkenntnisse und Theorien in ihren Schriften. Man muss sich nur Poes Gebrauch des Mesmerismus, seine Beschäftigung mit der Ballonfahrt (Balloon Hoax), die detaillierte Nutzung von Daten in Arthur Gordon Pym ansehen, um das zu untermauern.

Lovecraft für seinen Teil berief sich auf wissenschaftliches Hintergrundmaterial in seiner Pym-ähnlichen Erzählung Die Berge des Wahnsinns, in Der Schatten aus der Zeit und anderen Arbeiten; bemerkenswert ist seine sofortige Aufnahme des neu entdeckten „neunten Planeten“ in Der Flüsterer im Dunkeln.

Das Interesse Lovecrafts an Astronomie führte zweifellos zu seinem zunehmenden Interesse an anderen Bereichen wissenschaftlichen Strebens, so wie Poes frühe Erfahrung in West Point seine Beschäftigung mit Codes und Ziffern befeuert haben müssen. Und beide waren als professionelle Schriftsteller weitläufig belesen und kannten die Literatur ihrer Zeit genau: Poe als Berufskritiker demonstrierte seine Kenntnisse in seinen Aufsätzen und Lovecraft tat dies in seiner gewaltigen Korrespondenz, in der er beweist, dass er Proust, Joyce, Spengler und Freud gelesen hatte.

Aber der Punkt ist, dass sich Poe und Lovecraft dazu entschieden haben, dem Gebaren der zeitgenössischen Literatur den Rücken zu kehren und ihre eigenen individuellen Phantasiewelten zu erschaffen. Und vor allem darin waren sie sich gleich. Und darüber sind wir Leser von Poe und Lovecraft über alle Maßen glücklich. Wir werden nie erfahren, und uns ist es auch egal, was Edgar Allan Poe über Andy Jacksons „kitchen cabinet“ dachte, oder wie H.P. Lovecraft den Teapot Dome Scandal (Anmerkung des Übers.: amerik. Bestechungsskandal der 1920er Jahre) betrachtete. Das ist leicht zu verschmerzen, wo uns doch beide Einblicke in eigenartige Welten gegeben haben, die, völlig provokativ, ihre eigenen sind.

Die schlußendliche Ähnlichkeit aber ist die: Poe und Lovecraft sind unsere zwei Amerikanischen Genies der Fantasy, der eine vergleichbar mit dem anderen, aber beide allen überlegen, die in ihrem Fahrwasser treiben.

Copyright-Notiz: Übersetzt von Michael Perkampus © 2017. Der Artikel erschien im Original in „Ambrosia Nr. 2“ (August, 1973), © 1973 Alan Gullette und Robert Bloch. Der Nachdruck erschien in H.P. Lovecraft: Four Decades of Criticism, editiert von S.T. Joshi, Ohio University Press, 1980), pp. 158-160, © 1980 Ohio University Press.

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