Conan hat stets im Unterbewusstsein der Popkultur gelauert, er ist von dort nicht mehr wegzudenken. Manch einer wird – zum Leidwesen vieler Conan-Fans – unweigerlich das Bild von Arnold Schwarzenegger vor Augen haben. Manche mögen Arnold in dieser Rolle sogar, aber das zeigt im Grunde nur, dass Conan eine der unterschätzten Figuren der amerikanischen Literatur ist (dicht gefolgt von Lederstrumpf). Schwarzeneggers Conan-Darstellung mag spaßig sein, aber es fehlt ihr eindeutig an jener Tiefe, die Howards literarische Figur tatsächlich hat.
Wenn es um die Darstellung unreflektierter trivialer Kunst geht, braucht man sich nur die Meinung der Allgemeinheit über Conan anzusehen. Fragen wir jemanden auf der Straße nach Conan, wird er wohl oder übel Geschichten über Lust und Gewalt im Sinn haben. Conan wird einige halbnackte Mädchen aus den Klauen tollwütiger Bestien befreien, die dann ohnmächtig zu seinen Füßen liegen. Tatsächlich gibt es nicht wenige Persiflagen, die genau auf dieser einfachen Formel beruhen. Das Problem mit solchen Darstellungen ist, dass sie nicht richtig sind. Gibt es denn solche Geschichten im Conan-Werk etwa nicht? Doch, aber es gibt dort auch Geschichten von erstaunlicher visionärer Kraft.
Im fünften Teil des Dunklen Turms befinden sich Roland Deschain und sein Ka-Tet in einer Stadt namens Calla Bryn Sturgis, einer friedlichen Talgemeinde von Farmern und Viehzüchtern im Grenzland von Mittwelt. Gleich hinter der Stadt liegt Donnerschlag. Dieses Land der Dunkelheit ist die Heimat einer Gruppe, die als die Wölfe bekannt ist und die sich vorgenommen hat, Schmerz und Trauer über Calla Bryn Sturgis zu bringen. Unser Ka-tet muss einen Weg finden, die Wölfe aufzuhalten.
Der Dunkle Turm verschmilzt zahlreiche Genres in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Leicht lässt sich feststellen, dass die Multiversen, die heute so einen großen Erfolg haben – wie etwa das Marvel Extended Universe und zahlreiche andere – alle ihren Ursprung bei King finden. Natürlich gab es schon früher andere Welten und fiktive Orte, an die man gelangen konnte, aber niemals vorher mit jener kompromisslosen Energie, die nicht nur die meisten von Kings Werken (manche sagen sogar alle) unter einen Schirm drängt, sondern außerdem noch alle „möglichen“ Welten.
Klar wird das in einer Szene aus „Wolfsmond“, wo Roland und Eddie verschiedene Arten von Geschichten diskutieren:
„In unserer Welt hat man seine Detektiv- und Kriminalgeschichten… seine Science-Fiction-Geschichten… seine Westerngeschichten… seine Märchen. Kapiert?«“ „Ja“, sagte Roland. „Wollen die Leute in eurer Welt immer nur einen Geschichtengeschmack auf einmal? Nur einen Geschmack in ihrem Mund?“ „So könnte man’s ausdrücken“, sagte Susannah. „Isst denn niemand Eintopf?“ fragte Roland.
Der Dunkle Turm enthält Western-, Fantasy-, Horror-, Gothic- und Scifi-Elemente, gepaart mit einer postmodernen Sensibilität. Das Multiversum, auf dem die Serie basiert, liefert gemischte Ergebnisse. King greift auf Charaktere und Schauplätze aus anderen Werken zurück, unabhängig davon, ob er sie selbst verfasst hat oder nicht, um die von ihm gewünschte riesige Landschaft aufzubauen.
Das Setting und die Genrefusion standen für King an erster Stelle; jegliche Implikationen für Genrekonventionen waren ein nachträglicher Gedanke, eine Folge seines Weltenbaus. King sah sich gezwungen, die Spannung zwischen einem Multiversum-Setting und der Tradition der Gothic Novel anzusprechen. Die Darstellung bestimmter schauerromantischer Ängste, einschließlich sexueller Normen oder des Glaubens an Gott, profitiert von der Mehrdeutigkeit und Ungewissheit, die von Parallelwelten ausgeht.
Wenn Autoren Geister in ihren Werken platzieren, wie in Shakespeares Hamlet oder Dantes Inferno, kann dies oft dazu dienen, die Handlung und die Atmosphäre voranzutreiben, aber es gelingt ihnen nicht, das Unheimliche im Leser effektiv zu evozieren. Solche Darstellungen können die Ungläubigkeit des Lesers nicht aufheben. Autoren wie King, die einen Schauplatz wählen, der der Realität entspricht, können hingegen wesentlich effektiver unheimliche Gefühle erzeugen, in dem sie die Machenschaften hinter der Welt verschleiern. Die Schauerliteratur ist dafür bekannt, dass sie Informationen vor dem Leser verbirgt, um ihn in die Irre zu führen. King verwendet oft die „gewöhnliche Realität“ als Kulisse und verändert nur ein oder zwei wichtige Aspekte. „Shining“ oder „Brennen muss Salem“ zeigen ein Amerika, das sich nur durch die Existenz von Telepathie oder Vampiren von einem anderen unterscheidet. Jeder weitere Aspekt dieser Romane arbeitet daran, eine gemeinsame Realität zu etablieren und ist somit ein Versuch, das Unheimliche heraufzubeschwören.
Obwohl die verschiedenen Welten des Dunklen Turms gelegentlich ziemlich weit von der Konsensrealität abweichen, fragmentiert King die genaue kosmologische Funktionsweise des Turm-Multiversums während der gesamten Serie und weigert sich, jede Frage darüber zu beantworten, wie das Multiversum funktioniert. Wenn King Welten einbezieht, die für den Leser kaum wahrnehmbar sind, knüpft er an die Tradition Freuds an. King bevorzugt zwei Ansätze, um diese Realitätsnähe herzustellen: erstens die Kenntnis der amerikanischen Städte und Staaten und zweitens die amerikanische Kultur, die sich in Musik, Währung oder sogar Softdrinks ausdrückt.
Die Reisen von Pater Callahan durch zahlreiche Amerikas unterstreichen das unheimliche Setting, das King erschafft, am besten. Callahan, der von Barlow in „Brennen muss Salem“ erniedrigt wurde, reist durch parallele Amerikas, bevor er sich in Mittwelt niederlässt. Nach einer Vampirjagd durch New York City muss Callahan ein weiteres Mal fliehen, diesmal auf einem Bohlensteg unter der George Washington Bridge. Einen solchen Steg gibt es nicht, aber unter der meistbefahrenen Brücke der Welt beginnt Callahan, die verborgenen Highways von Amerika zu bereisen, Straßen, die ihn von einem Amerika zum anderen führen. Callahans Reise beginnt hier.
Er kann anhand der Einrichtung seines Hotelzimmers oder der Gesichter auf seinen Dollarnoten erkennen, in welchem Amerika er gerade aufwacht. Schließlich verschwinden die Requisiten des Reisens hinter der Landschaft selbst:
„Wichtig sind der Anblick einer Wetterfahne vor einem knallrosa Sonnenuntergang, das Geräusch seiner Absätze auf einer einsamen Straße in Utah, das Heulen des Windes in der Wüste von New Mexico, der Anblick eines seilhüpfenden Kindes neben einem schrottreifen Chevrolet Caprice in Fossil, Oregon.“
Die Beschreibung ländlicher Szenen und eines stillgelegten Autos bedeuten, dass das Reisen dazu dient, das Land zu erleben, die Reise zu genießen. Durch die Verlagerung des Fokus von Orten und Gegenständen, die die Amerikas voneinander unterscheiden, beschwört King Bilder herauf, die dem Leser bekannt sind. Mit einem Epos, das parallele apokalyptische Landschaften, Monster und Multiversum-Reisen bietet, muss King die Verbindung zur gemeinsamen Realität gelegentlich aufrecht erhalten. Hier romantisiert King die Flucht von der Stadt aufs Land, um die unheimliche Verbindung zwischen den Universen zu stärken. Der Leser stellt sich nicht nur eine Wetterfahne oder den Straßenlärm vor, sondern fühlt mit dem Ruf der Straße und der Sehnsucht mit zurück nach einfacheren Zeiten. Die urbanen Merkmale von Universum zu Universum, wie z. B. die Lage von Coop City einmal in der Bronx und dann wieder in Brooklyn, ändern sich ständig, was auf die Ungewissheit und Wandlungsfähigkeit einer Stadt hinweist.
Indem er andere Werke der Popkultur in sein Turm-Multiversum einbezieht, definiert sich King selbst als Mitglied dieser Gemeinschaft. Die Wölfe ähneln den Doombots aus den Marvel-Comics, Andy der Roboter erinnert Eddie an C3PO, und der gesamte Handlungsstrang des Romans ist eine deutliche Anlehnung an „Die glorreichen Sieben“. Die mit Lichtschwertern und Schnaatzen bewaffneten Wölfe bedrohen die Gemeinschaft in jeder Generation, indem sie Kinder stehlen und sie später geistig und seelisch behindert zurückbringen, ein Zustand, der als „minder“ bekannt ist. Die Kinder der Calla wachsen nach ihrer Rückkehr nur noch körperlich. Die Wölfe haben den Kindern all ihre psychischen Fähigkeiten geraubt.
Ein Wort zu Randall Flagg
Flagg taucht erstmals leibhaftig in „The Stand“ auf und terrorisiert zahlreiche Welten des Multiversums. Seine Herkunft ähnelt vage der von Roland, was ihm in typischer Gothic-Manier einen Doppelgänger beschert. Sowohl Roland als auch Randall verließen ihr Zuhause in jungen Jahren, um sich Prüfungen zu stellen. Roland litt unter dem Verlust seiner Geliebten, und Randall, der damals Walter Padick hieß, lief mit dreizehn Jahren von zu Hause weg und wurde missbraucht.
Walter weigert sich, nach Hause zurückzukehren, und wird zu dem Bösewicht, der Kings Multiversum heimsucht. Dabei ist er unter zahleichen Namen bekannt: Marten Broadcloak, Walter O’Dim, Mann in Schwarz, Richard Fannin und, am berüchtigtsten, Randall Flagg. Walter verfolgt Roland schon sein ganzes Leben lang. Als Marten verführt Walter Rolands Mutter und bringt Roland mit einem Trick dazu, sie zu erschießen. In „Schwarz“ ermutigt Walter Roland, Jake Chambers in den Tod stürzen zu lassen. Text für Text arbeitet Walter gegen das Weiße, weil King ihn genau dafür braucht.
Seit der Mensch sich seiner selbst bewusst ist, scheint er sich auch der Geister bewusst zu sein. Die Vorstellung von Geistern, aber auch von Geistergeschichten, findet sich bereits in den Anfängen der Menschheitsgeschichte und fasziniert uns seit Generationen. Ein Rascheln im Gebüsch, ein knarrendes Geräusch und die mit unserem Überlebensinstinkt verbundene Angst lassen uns Dinge sehen oder spüren, die vielleicht gar nicht da sind.
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Sehr guter Zusatz. Bereichert das ganze enorm. Danke!