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Beiträge veröffentlicht in “Brouillon”

Nyctanthes

Die Freiheit, die man gerne leugnet, besteht darin, sich in jeder Sekunde entscheiden zu können, was man als nächstes tut, ja, dass man bei einer Entscheidung oftmals ganz ohne Gedanken auskommt. Es mag uns scheinen, als dränge etwas wie ein Vulkan zur Eruption. Nur die Intensität markiert den Unterschied. Doch von Freiheit zu sprechen, wenn man voller Staunen zum ersten Male in das unbekannte Antlitz blickt, das so vertraut, weil vielleicht vor langer Zeit in allen Einzelheiten erträumt, weil vielleicht in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben so verabredet – man mag sich einst nur verlassen haben, in dem man, wie im Irdischen auch, sich Bilder voneinander schenkte – ist nicht mehr möglich. Man kann sich auf seinen Pfaden, die durch unterschiedliche Landschaften führen, an etwas erinnern, ohne genau zu bestimmen, was es ist, das immer wieder die Gewissheit anstachelt. Man kann sich vormachen, man bilde sich aus und gehe dahin, wo es einen beliebt, man mag in einsamen Stunden der Illusion genügend Macht einräumen, wenn man für sich selbst versunken sitzt in lauen Lüften unterm Sternenzelt oder mit seinen Träumen einsam spaziert. Man mag so oft den Mut fahren lassen, wenn man plötzlich bemerkt, wie unwegsam das Gelände geworden ist; und man fragt sich nicht selten, ob man denn richtig abgebogen sei. Doch niemals wird sich verleugnen lassen, was gerade in unserer Zeit der Raison zum Opfer ward, dass sich zwei Herzen finden können, weil sie füreinander bestimmt, sich noch im unbekannten winden, nicht eigentlich unglücklich, doch an einer ganz bestimmten Stelle leer oder noch nicht angefüllt. Man liebt so dann und wann drauflos und hält es für die Höhenluft. Da kommt es kaum in den Sinn, dass auch die Liebe ihre Lehrjahre kennt, dass nicht jedes mit Freuden angenommene Gefühl gleich das Jauchzen der Ewigkeit verspricht. Wir pilgern stumm, auch wenn wir laut und tönend uns durchs Leben peitschen, rennen oder ziehen, wir entwickeln uns zu einem Menschen, dessen Vorgänger wir schon bald nicht mehr kennen. Dann sagen wir: Ich habe mich verändert und ich bin nun bereit für dies und das. Bis dann das Unbekannte eingreift, mit dem wir uns selbst vor langer Zeit in dieser Weise verabredet haben.