Kult!

Kategorie: Brouillon (Seite 7 von 12)

der BROUILLON ist tagesgeschäft, nicht mehr als journaling über unwichtige persönliche befindlichkeiten.

Autoren bewegen sich in einem von ihnen selbst geschaffenen Universum

Diese schöne schriftstellerische Vision von Flaubert ist auch auf das Leben anwendbar, das im Rahmen des nicht dualen Verständnisses von Selbst und Welt gelebt wird.

Es ist eine köstliche Sache, zu schreiben, nicht mehr man selbst zu sein, sondern sich in einem ganzen Universum zu bewegen, das man selbst geschaffen hat. Heute zum Beispiel ritt ich als Mann und Frau, als Geliebte und Geliebter, an einem Herbstnachmittag im Wald unter den gelben Blättern, und ich war auch die Pferde, die Blätter, der Wind, die Worte meiner Leute, sogar die rote Sonne, die sie dazu brachte, ihre von der Liebe ertrunkenen Augen fast zu schließen. Ist das Stolz oder Frömmigkeit?

Ist es ein törichter Überschwang übertriebener Selbstzufriedenheit, oder ist es wirklich ein vager und edler religiöser Instinkt? Aber wenn ich über diese wunderbaren Freuden nachdenke, die ich genossen habe, wäre ich versucht, Gott ein Dankesgebet vorzutragen, wenn ich wüsste, dass er mich hören könnte. . . Lasst uns Apollo besingen wie in alten Zeiten und tief die frische, kalte Luft des Parnass einatmen; lasst uns auf unseren Gitarren klimpern und unsere Zimbeln schlagen und uns wie Derwische im ewigen Getümmel der Formen und Ideen herumwirbeln.

Aus einem Brief an Louise Colet, Dezember 23, 1853

Carl Barks

Vielleicht ist es gar nicht so erstaunlich wie es zunächst scheint, dass die Amerikaner nicht das gleiche Empfinden gegenüber Carl Barks aufbringen wie die Europäer. Ein wenig irritierend ist es allenthalben, wo doch fast sämtliche nennenswerte Kulturleistung von jenseits des Atlantiks zu kommen scheint, dann aber erinnert man sich vielleicht an Poe – der ebenfalls den Umweg über Frankreich (und Resteuropa) nehmen musste, um in seinem Stammland überhaupt wahrgenommen zu werden; aber auch posthum bis heute kaum  seinen Stellenwert behaupten kann (Harold Bloom hat ihn nicht einmal in die Liste der 100 literarischen Genies aufgenommen), während es in Europa nie den geringsten Zweifel gab (und auch nicht geben konnte). Ob man diesen Vergleich nun überhaupt akzeptieren will oder nicht: Carl Barks ist – wie Poe – eine weltliterarische Größe. Und auch wenn Lobo Antunes während einer Podiumdiskussion sein erlesenes Publikum nicht wenig damit brüskiert haben dürfte, dass er sagte, Homer interessiere ihn nicht, aber Micky Maus habe ihn geprägt, ist es doch der “Duckman” Carl Barks, der – neben zahlreichen anderen Figuren – Scrooge McDuck (Dagobert Duck) erfand und Donald zu einem weltweiten Phänomen machte, und dem deshalb ein Platz in der literarischen Wallhalla gebührt.

Ausgekugelte Ohren

Wie Macedonio Fernández an einem Buch schreiben, dass dazu gedacht ist, unbeachtet zu bleiben. Eine reizvolle Idee. Der Idiolekt, die chiffrierte, persönliche Sprache. Daran ändert auch ein Weblog nichts, es ist bequem so, wie ein Schuh, der sich durch Nässe erst aneicht. Früher musste man seinen avantgardistischen Sinn noch mit Flaschen voller Wein und dreckig wie ein Gossenhund in die bürgerliche Welt hineintragen, mitten in ihren Sonntagsstaat. Das hat sich sehr verändert; heute bedeutet alles Rückzug. Man kann alles von oben betrachten. Die Schmierfinken veröffentlichen ein Buch nach dem anderen, das Buch selbst ist das Ziel (oder schlimmer gar: das digitale Nichtvorhandensein – hinfortgedachtes Papier), nicht der Text, schon gar nicht die Sprache. Mit der aber allein ist alles möglich. So beharre ich darauf, manches “falsch” zu betonen, damit – wenn schon nicht die Wörter – der Klang zum Hyperbaton wird, über das man unweigerlich stolpert. Ich liebe stolpernde Zungen, noch mehr aber ausgekugelte Ohren.

Ulixes

Tatsächlich fetzten wir gestern mit einem Mietwagen über völlig verstopfte Autobahnen – was ja an sich eine glasklare Sache ist: SonntagSonne programmiert den Gehirnstamm auf die LandfraßStraßen. Wir aber hatten eine Mission, die wir dann hinter Ulm abbrechen mussten, klaustrophobische Zustände sagten also die Reise in den Odenwald ab (was ein Krankheitsbesuch geworden wäre). Um den Tag noch zu retten, rollten wir ins ehemalige Erdton-Studio, um etwas in meiner Vergangenheit herumzuwühlen und sie auf Gegenwärtigkeit zu testen. Es ist ein üppiges Land dort draußen, aber auch hier bleibt Vergangenes vergangen. Es gibt nicht einmal die Illusion von Gegenwart.

Bald zum Comic-Salon

In knapp zwei Wochen geht die Reise wieder einmal nach Erlangen. Den Abstecher nach Bayreuth ( Oh Herkunft, oh Glanz meines beginnenden Gebirges!) schaffen wir nicht, der Comic- Salon wird uns an diesem Tag (wir sind nur einen einzigen vor Ort) völlig beschäftigen. Natürlich besitzen wir kein Auto, werden aber mit einer Mietdroschke umher lottern.

Andockbare Ziele

In vielen Textformen spüre ich nach der Essenz des Andockens. Man spricht so oft von dem, was zwischen den Zeilen steht, nur steht da nichts (ich habe nachgeschaut). Der wahre Autor weiss nicht, was er tut und kann deshalb auch nichts zwischen die Zeilen schreiben. Völlig absichtslos aber widerfahren ihm andockbare Ziele.

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Baunacht

Also kramte ich, weil ich wieder nicht schlafen konnte, den Apparat unter der Kommode hervor, den Staub wischte ich erst gestern von seiner Oberfläche, diese Patina der ruchlosen Umgebung hatte mir lange lange gefallen. Gestern störte sie mich. Die Nacht bietet der Stimme einen anderen Raum; das liegt nicht allein an der Stille, es liegt vielmehr an der Schwingung aller Gegenstände In den letzten Tagen bemerke ich sehr genau, wie die einzelnen Stücke der Sandsteinburg nie exakt mit einer einzigen Einstellung bearbeitet werden können. Bei GrammaTau ist das selbstverständlich der unterschiedlichen Interpretation geschuldet, die Sandsteinburg ist aber – zumindest in seinen längeren Ezählpassagen – als Einheit zu verstehen. Von Kapitel 3 : Es gab einen Sturm, habe ich die gewünschten 8 Teile, um beginnen zu können, nun fertig. Doch es trifft sich sehr gut, dass ich auch – eben in besagter letzter Nacht – noch weitere Gedichte “bespielt” habe. Seit ich in der Schweiz “Die Gilde” zusammenstellte, habe ich das nicht mehr in die Nacht gelegt. Nachts sind hier arabische Familien unterwegs, sie laufen mitten auf der dunklen Straße und grölen wie Ballermann-Jünger. Das tun sie aber nicht, weil sie die gleiche Gehirnschmelze aufweisen, sondern weil sie es so gewohnt sind. Vielleicht nehmen sie Tag und Nacht in ihrer Unterscheidung nicht wahr. Oder es ist ihnen schlicht egal. Wenn ich die Balkontüre schließe, ersticke ich nach etwa einer Viertelstunde, aber sie hält doch einen Großteil Lärm ab. Tagsüber, wenn gegenüber das “Höllenhaus” entkernt wird, sieht die Sache anders aus, da muss ich dann die Musik in die Höhe treiben, um etwas anderes zu hören als das Treiben der Wanderarbeier aus dem Osten. Das mag sich alles nach einem grundgütigen Ghetto anhören, dabei verwandelt sich das Viertel um die alte Spinnerei doch in eine sanierte Prinzessin – so zumindest der Schein. Seit ich hier wohne, zeigt die Baubehörde, was sie so unter Leben versteht.

Hochdruckreiniger

Zuerst turnte der Mann in einem gelben Regenmantel mit einem Hochdruckreiniger über das Geländer des Balkons, um das Haus in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Wir zogen die schweren Vorhänge zu und das Geräusch, als führen wir in eine Autowaschanlage, war aushaltbar. Als wir so schön im schummrigen Dunkel saßen und Herbie Hancock hörten, brach plötzlich die Stromversorgung zusammen. Bis jetzt lässt sich der Hauptschalter auch nicht wieder nach oben arretieren. So musste ich sämtliche Dreifachsteckdosen zusammenstecken, um von der Steckdose im Flur Saft zu bekommen, denn Flur und Bad sind nicht betroffen. Selbstverständlich bekommen wir den zuständigen Elektriker am Freitag nicht mehr an die Muschel. Um später auch noch die Anlage und die Stehlampe zu versorgen, muss ich wohl auf die Schnelle eine Kabeltrommel organisieren. Es wird die Zeit kommen, da werden wir hier auf dem Boden ein Feuerchen machen müssen. Zumindest der Wasserkocher steht dort schon mal.

Fangfrischer Meerrettich

Diesmal konnte ich mir für eine Reduktion zwei Tage Zeit nehmen. Freitags kochte ich stundenlang das Wurzelgemüse, Knochen und Fleisch I aus. Daraus wurde die samstägliche Gemüsesuppe. Mit der Hälfte der Reduktion kochte ich noch einmal ein neues Stück Fleisch aus. Daraus wurde am Sonntag das Kren. Leider hatte ich keinen fangfrischen Meerrettich. Diese Tiere sind sehr scheu und man erwischt sie meist nur, wenn man tagelang unter der Erde spazieren geht. Das tat der mörderischen Geschmacksästhetik jedoch keinen Abbruch. Für mich ist die deutsch-böhmisch-österreichische Küche die beste der Welt, dicht gefolgt von der mexikanischen, die allerdings oft an den Zutaten scheitert, obwohl ich hier zumindest schwarze Bohnen bekomme.

Königsberger Klopse

Das untergegangene Preußen hat sich viele seiner Begrifflichkeiten aus der französischen Mode abgeschaut. Eines dieser französischen Wörter, nämlich „escalope“ wurde zum „Klops“, gemeint ist damit natürlich ein Fleischbällchen. Die berühmten Königsberger Klopse gibt es in vielen Varianten, man kann aber davon ausgehen, dass die Ostpreußen in der Hauptsache Hering unter das Rinderhack mischten, während es bei Hofe unbedingt Sardellen sein mussten. Der Siegeszug dieses eigentümlichen Gerichts verlor mancherorts den Fischanteil ganz, was aber essentiell blieb, waren Estragon, Senf und natürlich Kapern. Laut der Legende wurde Fisch dem Hack nur dann beigemischt, wenn die damals teuren und luxuriösen Kapern nicht bei der Hand waren. Vergessen werden darf allerdings nicht, dass es das Hack, wie wir es heute kennen, erst seit 1850 gibt, da vorher kein Fleischwolf zur Hand war. Will man historisch zu Werke gehen, muss das Fleisch (in der ersten Stunde dieses Gerichts handelte es sich um Kalb) zunächst mürbe geschlagen und dann geschabt werden. Die französischstämmige Kapernsorte Nonpareilles dürfte dabei als das Nonplusultra gelten, und es versteht sich von selbst, dass es dann auch Dijon-Senf sein muss. Weißwein, Butter, Sahne, ein Hauch von Muskat und Zitronenschalenstaub runden das Bild dieses Klassikers ab.

Nur Beute

Am Anfang war nichts, nur Beute. Aber eine Welt musste her.

Die Welt besteht nicht so sehr aus dem Zusammenspiel zwischen Molekülen und Geist, sondern aus Sprache. Und daran erkennt man so einiges.

Ich bin jetzt hier. (Und die Frage geht: War ich je woanders?). Ich bin durch Räume geschritten und nicht durch die Zeit. In einer Epoche zu leben bedeutet, in einer anderen Epoche nicht zu leben; die Wahl fällt hinterher, die Aussage, ob man das wollte. Wenn man sich für ein Irritativ entscheidet, lebt man eine  Epoche in einer anderen. Das wird schwer, vor allem mit dem Kleidern, aber auch mit der Sprache oder dem Gestus. Oder dem Essen. Aber vor allem mit den Kleidern, die nur noch die Fassade leisten können, ein oberflächliches Zelt, hinter dem sich kein Kacksand befindet, kein Dunggeruch der Heimeligkeit, sondern der harsche Zeitwandel einer eklatanten Nichtskönnerei.

Gespräch über die Kunst (mit Albera), die sich selbst genügt, die nur aus sich heraus und für sich ist, ausgehend von der Frage nach dem Sinn; ein interessanter Bogen, der zum Existentialismus führt.

Gewohnheit

Es war nie wichtiger, seine Lesegewohnheiten zu ändern, als dies heute der Fall ist. Zwar hat die Höhenkammliteratur nie etwas anderes getan, als die Form und das Verhältnis zur Sprache in abstraktes Terrain zu führen, die Erzählverweigerung aber, die daraus resultierte, brachte kein wirklich gutes Ergebnis. Es sollte darum gehen, Erzählformen zu finden, die mit dem Überkommenen brechen, die aber niemals das Erzählenmüssen der Menschheit torpetieren. So kann eine Geschichte, die nirgends hinführt, das Scheitern einer Lebensprognose viel besser aufzeigen als die plakative Verweigerung. Ein Text kann nicht abgeschlossen sein, so etwas ist unmöglich. Aber wenn er existiert, hat er etwas zu erzählen, und wenn es seine Entstehung ist.

Tarock der Läufer und Fänger

Im Titel stehts bereits, was ich sagen will. Aber das ist natürlich ne faule Aussage von mir. Das weiß ich. Ich bin weltfaul und der meisten meiner Artgenossen überdrüssig. Das wiederum lässt tief blicken. Stille psychoanalytische Fischrachenanalyse.

Zelfieblume

Ich entwerfe gerade ein Tarock für das, was bisher noch “Sandsteinburg” heißt und irgendwo in Schubladen, unter Schränken und in meinem Schädel umherfledert. Genommen werden Figuren, Symbole und Szenen aus ihr. Das bedeutet zwangsläufig: Ich muss auch eine eigene Legende zu den Karten entwerfen. Ein absolut sinnloses Unterfangen, zu dem die Hochlebe-Luftpuppe der Kunst eine ihrer blonden Strähnen zwischen zwei ihrer Finger zwirbelt, um sie zwischen Nase und Oberlippe zu klemmen, sobald sie schweinsnaserümpfend ein Fischmaul mimt. Zimpel commonzenzes.

Das ist die Karte mit der es begann.

Zu den Kanon(-)en

Schon etwas länger plage ich mich mit dem Gedanken herum, einen Kanon zu gestalten, der sich ganz der spekulativen Fiktion widmet (‘spekulative Literatur’ hörte sich vielleicht gebräuchlicher an, aber die Fiktion ist per se ein Gedankenspiel, das der Literatur voran geht, also zuerst da ist. Außerdem gehört die spekulative Fiktion zur Literatur, wie auch die Lyrik, der Comic, das Drehbuch etc. Literatur ist demnach nicht teilbar, Fiktion schon.). Ob das nun Gewäsch ist oder nicht, dachte ich zunächst an eine ungefähre Liste von 100 Büchern, die in loser Reihenfolge vorgestellt werden, bevor die Grenze dann notgedrungen überschritten wird. Auf eine Zahl wollte ich mich eigentlich nicht festlegen, dachte aber heimlich immer an die 1001-Serie der Edition Olms. Natürlich gibt es da auch die 1001 Bücher, die man gelesen haben sollte, bevor das Leben vorbei ist – da aber weigere ich mich. Zu viel davon will ich nicht lesen, zu viel davon habe ich schon gelesen und für nicht weiter wichtig befunden, zu wenig habe ich auf dieser Liste entdeckt, das nicht der Torwächter-Geschmack vorgibt, zu viele bedeutende Werke sind gar nicht vertreten. Da meine Einstellung zu vielen Dingen die natürliche Rebellion ist, dachte ich natürlich zunächst an einen Gegenkanon, was aber sinnlos ist, da kein einziger Kanon wirklich Gültigkeit über sich selbst hinaus besitzt. So auch nicht meiner, sollte er denn je entstehen.

Gegenwärtig habe ich im Phantastikon (und auch schon hier) mit der Stoffsammlung begonnen, aber 1001 Bücher werden es natürlich nicht werden. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass es nicht mehr als 300 Bücher (oder Werke, wenn man die Zyklen miteinbezieht) gibt, die wirklich in Stein gemeißelt werden sollten, und das unabhängig vom allesbeherrschenden eigenen Geschmack. Slipstream, Fantasy, Horror, Science Fiction, Magischer Realismus … da gibt es noch eine Menge zu sichten und in vielen Belangen gilt es auch, sich mit Experten auseinanderzusetzen. Was ich seit Jahren tue. Und was bereits vor zwei Jahren zu einer rudimentären Liste der 100 besten Fantasy-Werke geführt hat, die nach hinten dann doch sehr dünn und unhaltbar wurde, weshalb ich sie wieder vom Netz nahm.

Wie mein weiteres Vorgehen diesbezüglich auch sein wird, kann es vorkommen, dass zunächst Bücher in dieser Liste auftauchen, die später wieder entfernt werden. Aber ein Echtzeit-Abenteuer hat durchaus seine Bewandtnis. Man sieht die Leiden des alten Werther, wenn man so will, von einem, dem die Kugel nur das Gehirn gestreift, es aber nicht durchdrungen hat.

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