Die Veranda

Kult!

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Zweites surrealistisches Märchen (Pilze zu Gast)

Geschrieben von A. Anders und Michael Perkampus

C: Könntest du dir – und ich frage das ohne Hintergedanken – sonnengebräunte Pfifferlinge vorstellen, die eines Tages ihren Standort wechseln wollen? Und jetzt die eigentliche Frage: müssen sie nicht bei uns vorbeikommen, wenn sie ihr Ziel je erreichen wollen?

A: Aber doch, ja, ich denke, sie sollten sich Beine machen und recht flink bei uns vorbeikommen. Dann gesellen sich zu Flora und Faun auch die Fungi. Ich mag die Plasmodien der Gelben Lohblüte gebraten als “caca de luna” (“Mondkacke”). Pilze sind hübsch. Besonders die mit den Häubchen, den Schwammporen oder Lamellen.

C: Sie leben ja auch zu Mars, die Pilze. Da müsste sich doch was machen lassen, um für immer in den interstellaren Gebräuchen zu verschwinden? Sind sie erst da, werden sie schnell flach und alt. Sie seibern Stoffe von hoher Qualität und drängeln nicht wissentlich. Mehr von der Hinterfotze, also heimlich. Nun, du deckst den Tisch und ich suche in den Winkeln. Da fand ich noch immer von Spinnen geröstete Hüllen einst blühender Larven.

A: Dann sind sie, wenn sie auf meinem Tellerchen landen, flunderflach? Ist ihr Durchmesser dann nicht um ein Beträchtliches gestiegen? Wie soll ich sie dann verspeisen können? Klingt, als bräuchte ich danach einen “Fotzenspangler”.

C: Oh ja, ja oh! Sie sind dann so grooß wie einmal um die Oberfläche Gottes gelegt. Wie soll ein kleines Schnütchen wie das deine alles auf einmal wagen? Es gälte, sofort den Yogi – so man kennt – anzurufen, um eine fernöstliche Fressmethode zu erlernen. Wir machen es uns einfacher. Du wirst sehen: mit einer frisierten Kettensäge lassen sich auch Flunder brechen und in schlummernde Frittengröße schneiden. Aber horch! Da klingelts’s schon!

A: Äh, Monsieur Frits holt di Kättensege aus där Schübläd. Nurzu! Werden ja sehen, ob der Lappen Gottes nicht rechtzeitig über den Tellerrand schaut und hüpft. Vielleicht zieht er dann, höchst beleidigt, ziharmonisch reisend von dannen und es ertönt eine kosmische Melodei …

(RÖÖÖÄÄÄÄÄMMM BRABA BRABABA BRA, FROMM FROOOOOMM … (lautes Geschrei, das sich verbietet hier in Worte zu fassen. Und dann kippt auch noch irgendwo ein verdammter Stuhl um!)

ENDE

Crash

Der Druck auf meine rechte Körperseite,
auf diese Extremitäten,
die Knochen,
die äußeren Flächen.
Das Hervortreten der Schulterblätter.
Die Unterbindung des Blutflusses der Beine.
Das Gras berührt,
die Wange den Boden.
Das Klaffen der oberen Lippe.
Die Beckenschaufel wieder und wieder

           in Erde bewegt.
Die starkschnellen Schläge.

Links, unter meiner Brust.
Unter den Rippenbögen, die flache Atmung.
Die Weite von vorn,
von hinten Wärme.
Die Haut deiner Hand.
Das Blut schmeckt eisern.

»Maybe the next one. Maybe the next one.«
(angelehnt an die Romanverfilmung "Crash" von David Cronenberg)

Erstes surreales Märchen (als Dialog)

M: Würdest du von goldnem Mottenstaub mich umringt wissen – wie wäre dann dein Vorschlag, unter rettende Trauben zu eilen? Oh, und start müsste es außerdem sein.

A: Du würdest nicht wissen, wie dir geschieht! Es wär’ dir, als bekämst du die Motten.

M: Die mir, wie gehabt, unter den Biberpelz fahren, um die Kissen zu kitzeln, die ich einst unter meiner Haut versteckte? Aber kannst du mir nichts Bessres raten, als tatenlos die Falle zuschnappen zu lassen?

A: Nein, von solchen Motten kann die Rede nicht sein! Ich sag dir, wenn ich’s täte, du schnapptest nach mir, schnapptest mit den Händen hier und dort, schnapptest als wolltest du sie, die Motten, fangen, die dich streifen mit wimpernem Aug’, hie und da, hie und da dich kitzeln, denn du sähest mich nicht. Doch ich nähme von dir das goldene Puder und knetete draus dir zwei Schuh, die dich windgeschwind ins Tal der Zwölfmittagsuhr bringen, zu den Wölflingswiesen und Käfermarien. Dort, wo der Schleierbaum steht. Denn nur unter diesem kann ich dir erscheinen.

M: Dann ist Windeseile geboten, das Mopezoid aus dem Kerker zu holen und mit ihm – fusch – hinweg gerast, durchs Tal der drei Glocken (wo man einst eine Jungfrau hat Jungfrau sein lassen, bis sie dann als Jungfer starb), über die Hügel der glorreichen Witzschänke (die heute keinen Wirt mehr findet, des maroden Kellers wegen), und hin zum Schleierbaum, den ich mit dir zusammen doch in meiner Kindheit ersann (als ich noch nicht der Körper war, sondern nur ein Raunen unter Liebesfenstern.). Du wartest, ja?

A: Ja hört’s denn nicht zu?! Was will es faul die Räder mühen, der Stadt eine Küss-meinen-Staub-Wolke zu hinterlassen. Nein, der Staub muss zu Teig, der Teig zu deinen Schuhen werden, die dich zu mir bringen. Von meiner Hand zu deinen Füßen. Denn ohne das, bleibt Staub nur immer Staub. Und sei er noch so golden. Es vermengt sich nichts.

M: Aber ich hatte doch nur geschwinde Winde im Sinn. Da muss ich gleich gestehen, wie mir die Sockpocken erst jüngst kuriert wurden, so dass ich vielleicht ignoriert habe, was da Gutes unter mich zu bringen sei. Aber ich will es noch einmal versuchen: trompete die Füße an und bewedel’ sie dann mit Eukalyptuslikör. Und dann eile ich. Per pedes, versteht sich, so nämlich, wie mir geheißen! Ja.

Edith

Ich kann nicht sagen, wie viele Hände ins große Spargelfeld meiner
zweiten Mutter gesickert sind, und ob sie dort noch liegen.
Ich erinnere nur das:

Stets zur Mittagszeit refelten sich feinflechtig, an vier schwebenden
Stühlen aufgespannt, zwei rote Beine auf.
Ich blieb, um zu sehen, wie sie sich verflüchtigten.
Konvex blieb um mich herum der Wald als große Lungenblase
berstend gegen die Ortschaft stehen.
Es dauerte bis in den Abend hinein bis die Spannung seiner
Oberfläche einen Riss bekam, und er mir so sein dunkles Nadelmeer vor Augen spülte.

Es war wie eine gewaltige Traube, die barst.
Ich fand mich unter den Rücken der Tannen wieder.
Von Weitem rief Edith nach mir.
Ich lief zu ihr.
Sie nahm mich an ihre rechte Hand, einen schwarzen
Eimer, gefüllt mit Spargeln, in der linken.
Mich mit ihren durch die dickwandigen Gläser, die sie trug, stark
vergrößerten Augen anschauend, nahm sie mich mit sich.

Die Mädchen wehen die Bäume

A: Sie sagten, die Mädchen wehen die Bäume. Schließen Sie die Augen und versuchen Sie sich zu erinnern. Um was ging es? Warum wehen die Bäume? Wir müssen wissen, warum die Bäume wehen.

P: Ich weiß nicht so genau. Erinnere mich nur an diese eine Patientin, über Fünfzig war sie. Sie hat mir davon erzählt. Es ging um irgendwelche Mädchen, die über ihr wohnten bzw. vorbeikamen, um dort eine Radiostation zu betreiben, mit der sie das Wetter beeinflussen konnten und durch die sie sich mit ihr unterhielten, sie aber auch beschimpften. Die Mädchen wehen die Bäume, hat sie immer wieder gesagt. Die lackieren sich die Nägel auf Russisch. Das wären nämlich Russinnen, die sie “fertig machen” wollen. Sie wäre ihr Hund oder so. Hat auch recht viele Redewendungen benutzt, nur immer sehr eigensinnig abgewandelt. Das Interessante war, so abstrus das alles klang, nach einer Weile kamen immer mehr Informationen hinzu, die die Lebensgeschichte dieser Frau dahinter durchschimmern ließen. Sie hatte Germanistik studiert und war mal Lehrerin in einer reinen Mädchenklasse. Das hat auch viel über ihr Selbstbild als Frau und aus dieser Zeit erzählt. Sie sagte immer wieder: Die Mädchen. Die Mädchen wehen die Bäume. Ich weiß nicht, wieso. Was wollen Sie von mir?

Schemenform (Proto)

Wieder lief ich des Weges, den ich einst nahm.
So oft warf ich meine Hände dabei ins Feuer.
Und jedes Mal in jeder Mitte dieses Waldes ließen
sie mein Haus, auf das sie mit ihren nachtlangen Fingern zeigten,
erneut in diesem großen Kessel versinken.
So lange habe ich dich hier nicht mehr gesehen.
Die Bäume brachen ihre Borken durchgehend stumm auf.
Fleischweiß ist es hier geworden. Einzig hinter der Tränenmauer
gingen Wölfe auf Zehenspitzen auf und ab.

Hahn auf dem Mist

Zunächst drückte sie mir den nassen Spülschwamm ins Gesicht, den ich als gerechtfertigt betrachtete und nahm wie ein Mann. Ich hatte eine gewisse Art, die Dinge zu benennen, die man unmöglich durchgehen lassen konnte. Dann suchte sie der Reihe nach meine Sachen, die ich überall verstreut herumliegen hatte, machte die Wohnungstür auf und warf sie nacheinander die Treppe hinunter. Jedes mal musste sie das Licht im Treppenhaus neu starten. Statt dass ich sie daran hinderte, eilte ich meinen Habseligkeiten nach und riskierte damit, dass mir weitere Dinge nicht nur um die Ohren flogen, sondern mich sogar trafen. Sie zu hindern wäre einfacher gewesen, aber ich wollte sie den Rausch auskosten lassen, mich samt und sonders vor die Tür zu setzen, wo ich meiner eigenen Meinung nach auch hingehörte. Als sie nichts mehr fand, das sich mir entgegenwerfen ließ, fing sie an zu heulen und sagte, ich solle wieder nach oben kommen. Das ging natürlich nicht. Ich weiß, dass ihr Schriftsteller manchmal bescheuert seit, sagte sie, aber du bist ja noch keiner. Womit sie Recht hatte oder auch nicht, so genau ließ sich das nicht sagen. Dummerweise war ich auf dem Weg dorthin, ob ich wollte oder nicht. Dabei konnte ich noch nicht einmal richtig schreiben und versuchte mich in Gedichten, die sich entsetzlich reimten. Und ein Thema hatte ich ebenfalls nicht. Wäre H., den ich natürlich angerufen hatte, nicht gekommen, hätte ich wohl eine weitere Nacht in ihrem Bett und Opiumduft verbracht, aber H. kam und wir fuhren in seinem Ford Taunus in eine neue Überlegung hinein, die mein Leben so richtig in Schwung bringen sollte.

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Der Arm im Schrank

Er lehnte sich zurück und nahm die Brille ab, die sich in Zeiten periodischer Weltbrände dem Urozean anschloss.
Er antwortete ihr in Druckschrift, dann entzündet er ein Räucherstäbchen, die Fresken auch. Durch die Bohlen der Kabine hörte er die Matrosen brüllen. Der Tag ging im nächsten Salon zu Ende, Spiegel an der Bar und Kronleuchter, schmiedeeiserne Türklopfer und Symphonien auf Notenpapier.
Der Alte legte eine Leiter an die östliche Wand der Kammer, jeweils eine Handbreit mit hellem Sand gefüllt, flach auf den Bauch. Es gab allerdings noch eine andere Möglichkeit, die Zwischenzeit sinnvoll zu nutzen, doch das war alles Nebensache geworden.

Der Idiot

du musst dich in den Breitbeeren
niederlassen, sonst küsst uns die Jagd

kroch strumpfbehaart auf den Schnappgrund
zu : Bist du das? Du hast Öl im Aug!

in finstren Ecken zu wähnen den Schmutz
Myschkin zerbricht die Gesetzestafeln nicht
er dreht sie nur um & zeigt, daß auf der
Rückseite das Gegenteil geschrieben steht

Das mag alles gewesen sein

Wir hatten das Leben ohne Schranken entdeckt, 
das nicht im Händeschütteln endet, die Neugier
auf die Möglichkeiten des Lebens sind romantisch
und die Romantik gehört ganz und gar der Jugend
und ich werde nicht mehr schlau aus mir selbst,
sie warf mir die Schallplatten, Kleider und Bücher
die Treppe hinunter. Sie stand oben an der Tür
und ich stand unten an der Tür.
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