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Schlagwort: Dystopie

Die brennende Stadt, Kapitel 5 (Enwor #2)

Noch einmal Ikne. Skar ist in den Händen Velas.

Skar erwacht aus einer Bewusstlosigkeit, die von Tantors magischer Kälte verursacht wurde. Sein Körper ist in silberne, haardünne Ketten gefesselt, die ihm jede Bewegung erschweren und die aus dem gleichen Material geschmiedet wurden wie sein legendäres Schwert, ein Tschekal. Seine Erinnerungen kehren langsam zurück, und er denkt an den grausamen Moment, in dem die Kälte die Soldaten in der Gasse zu Eisskulpturen erstarren ließ. Tantor, der zwielichtige Zwerg, begrüßt ihn mit Spott und macht deutlich, dass er Skars Wut nicht fürchtet. Er behauptet sogar, dass sie noch Freunde werden könnten, was Skar nur mit Zorn und Verachtung quittiert.

Kurz darauf betritt Vela den Raum. Bei ihrer zweiten Begegnung ist ihr Gesicht von einem beweglichen, schleierartigen Gewebe verhüllt, das verhindert, dass man sich später genau an ihre Züge erinnert.

Skar verweigert sich natürlich noch immer, nach combat zu gehen und den Stein der Macht zu suchen. Doch Vela macht ihm unmissverständlich klar, dass sie ein Druckmittel hat: Sie hat Skars Freund Del in ihrer Gewalt. Falls Skar sich weigert, wird Del sterben. Zudem enthüllt sie, dass Tantor ihm bereits ein schleichend wirkendes Gift verabreicht hat. Die Kugeln in dem Lederbeutel, den sie ihm zuwirft, enthalten ein vorübergehendes Gegengift, das seine Lebenszeit um jeweils zwei Tage verlängert. Doch das vollständige Heilmittel gibt es erst, wenn er den Stein abliefert.

Skar ist wütend und verzweifelt. Er erkennt, dass Vela ihn in eine Falle gelockt hat, aus der es kein Entkommen gibt. Selbst wenn er sie töten könnte, würde es nichts nützen, denn Del würde weiterhin in ihrer Gewalt bleiben. Zudem hat sie sich abgesichert – sie wird die Stadt bald verlassen, und Skar hätte keine Möglichkeit, sie zu verfolgen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich ihrer Forderung zu beugen.

Innerlich hadert er mit sich. Als Satai – ein Krieger mit festen Ehrenkodex – widerspricht es allem, woran er glaubt, sich erpressen zu lassen. Doch er erkennt, dass sein Tod und der Dels keinen Sinn hätten. Selbst wenn er sich weigerte, würde Vela einfach jemand anderen finden, um ihre Mission zu erfüllen. Er muss sich also auf die gefährliche Reise nach Combat einlassen, nicht nur um sein eigenes und Dels Leben zu retten, sondern auch um zu verhindern, dass der Stein in Velas Hände fällt. Doch ihm ist bewusst, dass er dabei auf dünnem Eis wandelt.

Combat

Der Rest der Gruppe um Skar hat mit letzter Kraft den Rückweg aus dem gefährlichen Tempel durch extreme Hitze und Hindernisse überstanden. Der Stein der Macht konnte sie vor den gefährlichen Feuerwesen schützen, jedoch nicht vor der Hitze und der Strapazen der Reise. Weil sie keinen wirkungsvollen Schutz mehr hatten, mussten sie einen großen Umweg durch die Feuerhölle von Combat machen. Skar und seine Gefährten, darunter die mysteriösen Sumpfmänner, sind schwer verletzt und erschöpft. Als sie ihr Ziel in den Katakomben erreichen, von wo aus sie gestartet sind, trifft sie der nächste Schock. Tantor hat sich mitsamt der Packpferde und der Vorräte aus dem Staub gemacht. Das hört sich nach einem sicheren Todesurteil an. Und tatsächlich zeigt sich Gowenna tief getroffen. Für sie bricht eine Welt zusammen, denn sie weiß, dass sie von Vela verraten wurde, im Stich und fallen gelassen.

Skar selbst war am Ende. Er hatte sich eingebildet, Vela überlisten zu können, doch letztlich war nur er selbst der Betrogene. Was ihn wirklich antrieb, war nicht ein kühner Plan oder gar Widerstand – es war Del, sein Freund, sein Anker. Der ominöse Stein in seinem Besitz war nur ein Vorwand, eine weitere Lüge in einem Netz aus Täuschung.

Während er den rauen Lederbeutel unter seinem Hemd ertastete, spürte er die kühle Härte der lebensspendenden Kugeln und den unscheinbaren, geheimnisvollen Stein. Keine Antwort kam aus seinem Inneren, keine Eingebung über dessen wahre Bedeutung. Er schien nutzlos zu sein, nur ein Stein.

Dann trat El-tra an ihn heran – eine Gestalt aus den Nebeln des Sumpfvolks, eine von den überlebenden zweien, und doch vielleicht nur ein Spiegelbild des anderen.

El-tra nennt ihn in diesem Gespräch “Geistbruder”, denn tatsächlich trugen dieses Wesen jetzt einen Teil von ihm in sich, auch wenn Skar das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verstehen kann. Das folgende Gespräch ist aufschlussreich, denn die Sumpfmänner haben eine ganz andere Auffassung von Individualität. Sie sind nie nur zu zweit oder zu dritt, sondern Millionen Facetten eines großen Wesens. Das seien die Menschen zwar auch, aber sie wissen im Gegensatz der Sumpfleute nicht darum. Bedenkt man, dass die Sumpfleute nie nur sprechen, damit etwas gesagt ist, kommt dem Gespräch eine besondere Bedeutung zu, die sich später in der Saga noch weiter entfalten wird.

Jetzt aber sind die Probleme völlig andere, denn sie haben nicht nur keine Chance, ohne Pferde und Vorräte das Gebirge noch einmal zu überqueren, es zeigen sich auch endlich die Verfolger am Horizont. Zehn Reiter, und zu Skars Entsetzen werden sie von einem Satai in voller Rüstung angeführt. Und Skar verdächtigt Gowenna erneut, von all dem gewusst, aber geschwiegen zu haben. Diesmal kommt es zur Eskalation, und Skar lässt keinen Zweifel aufkommen, wie wütend er über diese ganzen Lügen ist. Hätte Arsan nicht eingegriffen, hätte Skar Gowenna vielleicht nicht nur verprügelt, sondern sogar getötet. Hohlbein steigert hier das Drama, indem er von den El-tra erfährt, dass sie eigentlich den Befehl hatten, Skar nach der Mission zu töten, es aber nicht taten, weil Gowenna es ihnen verbot.

Das lässt diese angebliche Hass-Beziehung zwischen Gowenna und Skar in einem völlig anderen Licht erscheinen, und sorgt natürlich dafür, das sich Skar, nachdem er gegenüber Gowenna die Fassung verloren hatte, noch mehr verachtet.

Skar suchte den Blick Gowennas. Aber sie schien das, was um sie herum vorging, gar nicht mehr wahrzunehmen. Sie starrte aus leeren Augen an ihm vorbei zu Boden, die verletzte Wange mit der Hand bedeckend. Der Schnitt hatte längst aufgehört zu bluten; er war nicht sehr tief und würde keine Narbe hinterlassen. Aber Skar wußte auch, daß weder der Schmerz noch die körperliche Niederlage, die er ihr zugefügt hatte, das wirklich Schlimme war. Irgend etwas war mit ihr geschehen, kurz bevor sie aus Combat zurückgekehrt waren. Er wußte nicht, was, aber er wußte, daß er sie endgültig zerbrochen hatte, ohne es zu wollen, dafür aber brutal und endgültig. Mit einem Mal kam er sich gemein und niederträchtig vor, schmutzig. Er empfand fast so etwas wie Abscheu vor sich selbst, wie ein Mann, der ein Kind schlug und erst zu spät merkte, was er überhaupt tat. Von dem Triumph, den er für wenige kurze Momente gespürt hatte, war nichts geblieben. In ihm war nichts als Leere, Leere und ein bitterer, harter Geschmack. Er hatte gesiegt, aber es war ein billiger Sieg gewesen, ein Sieg, der eines Satai unwürdig war.

Vela und ihr Staubdrache

Inzwischen sind die Krieger heran und gruppieren sich um den Kraterrand, wo Skar und sein klägliche Rest seiner Gruppe in der Falle sitzen. Aber noch griffen sie nicht an. Es schien, als würden sie auf etwas warten. Natürlich ist es der schwarze Satai. Ein Kampf, der unausweichlich ist. Beide erkennen einander als ebenbürtige Gegner – und doch weiß Skar, dass sein Feind ihm überlegen ist. Als sie aufeinandertreffen, entfesselt Skar eine dunkle, unheimliche Kraft in sich, eine Seite, die er selbst fürchtet.und die er aus der Nonakesh-Wüste mitgebracht hat. Er besiegt den Satai, aber nicht aus eigener Stärke, sondern weil in ihm etwas erwacht ist, das weit über menschliche Fähigkeiten hinausgeht.

Doch der eigentliche Gegner wartet noch: Vela erscheint auf einem mächtigen Staubdrachen. Sie hatte den Kampf beobachtet, und sie war ihnen stets näher, als sie dachten. Mit gnadenloser Berechnung nimmt sie Skar den Stein ab, das Objekt all ihrer Mühen. Der Zwerg Tantor, entreißt ihm zudem noch den Beutel mit den lebensspendenden Kugeln.

Dann folgt Velas grausame Machtdemonstration: Arsan stirbt als erster in den ätzenden Nebeln des Staubs, den der Drache speit. Sein Körper zerfällt. Gowenna, die einst starke Kriegerin, wird entstellt – eine Hälfte ihres Gesichts bleibt unversehrt, die andere wird zu einer grausigen Wunde. Skar fühlt sich leer, ausgebrannt. Alles, wofür sie gekämpft hatten, scheint sinnlos gewesen zu sein.

Doch Gowenna gibt nicht auf. Sie bietet Skar einen neuen Zweck: Rache. Sie will Vela finden, koste es, was es wolle. Und Skar, seiner letzten Hoffnung beraubt, hat nichts mehr zu verlieren. So bricht er mit Gowenna auf – gezeichnet vom Verlust, aber mit einem letzten Ziel vor Augen: den endgültigen Kampf gegen Vela.

Ende

In diesem Buch geschieht viel, das sich erst in den folgenden Bänden erschließt. Wie gesagt, hätte Hohlbein das Buch heute ganz anders geschrieben, aber so, wie es ist, ist es gut und repräsentiert eine Zeit, in der Fantasy ganz allgemein in einer Krise steckte. Deutschsprachige Fantasy war so gut wie überhaupt nicht vorhanden und die Autoren tasteten nach neuen Möglichkeiten, weg von der ewigen Tolkien-Blaupause.

Die brennende Stadt, Kapitel 4 (Enwor #2)

Im Stollen, der unter den Stadtmauern von Combat ins Zentrum führt, macht Tantor, der Zwerg, eine Paste zurecht, die sie alle vor der Gluthitze schützen soll, zumindest teilweise, denn die Wirkung ist nur von kurzer Dauer, muss ihnen aber genügen. Also reibt sich das jeder (inklusive der drei Sumpfmänner) auf Haut und Haar, nichts darf vergessen werden. Tantor verkündet, dass er zurückbleiben wird, um auf die Pferde achtzugeben. Tja, und damit wären wir bereit, diese brennende Hölle zu betreten. Wir wissen nicht auch nur ansatzweise, was außer den Flammen dort lauern mag, aber wir werden es bald herausfinden.

In diesem Kapitel blicken wir jedoch noch einmal in die Vergangenheit, wo das Undenkbare geschehen ist: die Satai wurden bei einem Stadionkampf besiegt, scheinbar von zwei halbwüchsigen Kohonern, für die sich Cubic, der Lastar und damit Ausrichter des Kampfes vorher noch entschuldigt. Er hätte überall gesucht, aber es gäbe keine Kämpfer mehr, die einem Satai würdig wären. Auch hier sehen wir noch, dass jeder davon ausgeht, dass es gar keine Frage ist, wer diesen Kampf eigentlich gewinnen sollte.

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Die brennende Stadt, Kapitel 3 (Enwor #2)

Erinnert sich noch jemand an die Höhle, die unsere Heldengruppe auf dem Weg nach Combat durchlaufen musste? Da wurde eine tödliche Gefahr erwähnt, die sich dann als unbegründet herausgestellt hat, schließlich war das die Höhle einer Schneespinne, einem mächtigen Wesen, das seine Behausung im Grunde nie verlässt. Es gibt nur noch wenige von ihnen, denn sie mögen zwar groß und gefährlich sein, sind aber nachtaktiv und schlafen bei Tage, was heißt, dass man sei dann leicht töten kann. Skar und seine Gruppe begegnen ihr nicht und sind sichtlich froh darüber. Wahrscheinlich gibt es sie gar nicht mehr. Doch Hohlbein wendet hier technisch gesehen einen interessanten Stil an, indem er nämlich eine große Gefahr heraufbeschwört, sie sich dann als unbegründet erweist – nur um dann, wenn sich die Gemüter der Leser beruhig haben, die Schlinge noch heftiger anzuziehen.

Bevor die Gruppe die Brennende Stadt betritt und zur letzten Rast anhält, erblicken sie den toten, zerfetzten Körper der Spinne. Etwas noch weitaus mächtigeres muss sich die Spinne als Beute genommen haben. Ihr Blut ist noch warm, es kann also noch nicht lange her sein Was um alles in der Welt kann das gewesen sein? Ein Staubdrache, wie wir erfahren, ist ihnen auf der Spur und er wird auf den Fersen sein, bis er sie hat. Sie können also vom Glück sagen, dass ihm die Spinne vorerst genügt hat. Staubdrachen waren Legenden – übermächtige, uralte Bestien, von denen man sagte, sie hätten eine Spur aus Feuer und Tod hinterlassen.

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Die brennende Stadt, Kapitel 2 (Enwor #2)

Im ersten Kapitel werden wir von Hohlbein direkt ins Geschehen geworfen und befinden uns mit einer Heldengruppe auf dem Weg nach Combat. In Kapitel 2 erfahren wir nun zumindest einen Teil der Hintergründe. Hohlbein webt uns die Vergangenheit und Combat selbst von Kapitel zu Kapitel ineinander. Allerdings gibt es hier nicht wirklich eine Einteilung in Kapitel, es finden sich nur kurze Trenner. Für unser Deep-Reading ist es aber besser, sich an (fiktive) Kapitel zu halten.

Enwor Karte
Enwor, Südosten

Wie eine Vision aus einer längst vergangenen Zeit liegt Combat jetzt vor ihnen, eine Stadt aus titanischen Säulen, gewaltigen Kuppeln und makellosem weißen Stein. Doch das Seltsamste ist nicht ihre Größe oder ihre Bauweise, sondern die Flammen, die sie umhüllen. Ein Meer aus Feuer lodert über den Straßen, schwappt gegen Mauern, umarmt die Türme – und doch bleibt Combat unberührt. Die Stadt, die dem Atem der Götter zum Opfer gefallen ist, steht noch immer, während die Flammen toben, als wären sie nichts weiter als ein Vorhang aus Hitze und Licht.

Skar steht am Rand des Plateaus und begreift, warum sie hier sind. Warum Vela, die geheimnisvolle Errish, alles daran gesetzt hat, Combat zu erreichen. Denn tief in der Stadt verborgen liegt eine Macht, die selbst die Flammen der Götter überdauert hat. Die Götter hatten die Erbauer Combats vernichtet, ihre Körper in Asche verwandelt und ihre Namen aus der Geschichte getilgt, aber vermutlich ist es der Stein der Macht (der Grund, warum sie alle hier sind), der die Stadt unversehrt hält. Wer ihn besitzt, wer seine Kraft entfesselt, wird nicht nur Combat beherrschen – sondern die ganze Welt, und genau darauf hat es Vela abgesehen.

Die brennende Stadt

Noch nie zuvor hat Skar so deutlich gespürt, dass er nur eine Spielfigur in einem viel größeren Spiel ist. Gowenna, die ihn bisher kaum eines Blickes gewürdigt hat, erklärt ihm, das es einen Weg in die Stadt gibt, ohne zu verbrennen. Tief unter Combat erstreckt sich ein uraltes Netz aus Tunneln, verborgen unter den Mauern. Einst aus dem Fels geschlagen von den Erbauern selbst, um die Stadt zu verbinden, um das, was tief in ihrem Kern verborgen liegt, zu bewachen. Doch Gowenna war schon einmal dort. Und sie weiß, was unten wartet. Wesen. Dinge, die nicht sterben können. Skar erkennt, was das bedeutet. Gowenna hat bereits versucht, den Stein der Macht zu erreichen. Und sie ist gescheitert. Aber sie spricht nicht darüber, so wie sie überhaupt einen abweisenden Eindruck macht.

Ikne

In einer Rückblende sehen wir Skar, der sich seit sechs Monaten in Ikne aufhält. Del und er blicken einem Stadionkampf entgegen, bei dem es nicht um Leben oder Tod geht, sondern im Grunde nur um Geld, das die beiden benötigen, um ihre Schulden zu bezahlen und dann weiterziehen zu können. Hier bekommen wir einen eingeflochtenen Hinweis auf den ersten Band, als Del und er versuchten, die Nonakesh-Wüste zu durchqueren, auf der Flucht vor den Quorrl. Man könnte zwar meinen, das seien die “Orks” in Enwor, aber weit gefehlt! Auch wenn sie als die größte Bedrohung für Enwors Zivilisationen dargestellt werden, bewegt sie doch etwas anderes. Was das ist, werden wir wohl erst später erfahren.

Raches Wacht
Rache, zwei betrunkene Soldaten und groß im Hintergrund: Gowenna

Der Sturm hat die Straßen leergefegt, der Regen prasselt in Sturzbächen auf die Stadt nieder. Selbst das Händlerviertel, sonst bis tief in die Nacht belebt, liegt verlassen da. Doch in einem Haus brennt immer Licht: In Raches Wacht. Die heruntergekommene Taverne ist der einzige Ort in Ikne, der rund um die Uhr geöffnet hat. Hier verkehren zwielichtige Gestalten, Soldaten, die sich an schlechtem Wein betrinken, und solche, die zu viel wissen. Skar betritt die Taverne in der Hoffnung, Del dort zu finden, schließlich sollten sie sich noch etwas ausruhen, bevor ihr Stadionkampf beginnt. Doch sein Kamerad ist nicht da, schlägt sich irgendwo in Ikne die Nacht um die Ohren. Stattdessen belauscht er ein Gespräch, das ihm eine neue Gefahr offenbart.

Der bevorstehende Kampf in der Arena ist eine Falle, heißt es da. Seit Wochen setzt die Stadt ihr Geld darauf. Skar und Del gelten als unbesiegbar, doch die Wettquoten sprechen eine andere Sprache. Eine Intrige ist gesponnen worden – wenn die richtigen Männer auf ihre Gegner setzen, werden sie reich. Und Skar? Er wird die Arena nicht lebend verlassen. Das Gerücht macht die Runde, dass der Scharfrichter bereits sein Beil geschliffen hat, falls die beiden Satai betrügen und wider aller Erwartung vorgeben, den Kampf zu verlieren.

Skar spürt die Blicke auf sich. Eine Fremde sitzt in einer dunklen Ecke, schlank, bewaffnet, und beobachtet ihn mit kalter Ruhe. Ihr Auftreten ist zu selbstsicher, zu kontrolliert, als dass sie nur eine gewöhnliche Besucherin sein könnte.

Die brennende Stadt - Priester

Als er die Schenke verlässt, folgt sie ihm in den Regen. Hier begegnet er also Gowenna zum ersten Mal. Mit dunkler Kapuze über dem Gesicht tritt sie aus den Schatten und fordert Skar auf, sie zu begleiten. Sie will mit ihm reden, doch nicht hier, nicht unter den Augen eines Wirtes, der zu viel weiß, und Soldaten, die sich alles zu ihrem Vorteil merken. Es gäbe einen Auftrag für ihn. Skar folgt ihr widerwillig, aber neugierig durch die dunklen Gassen, während der Sturm um sie tobt. Die Stadtmauer erhebt sich vor ihnen, und schließlich betreten sie ein verborgenes Haus, das tiefer in den Schatten liegt als alle anderen. Und dort wartet sie auf ihn: Vela, die Errish, eine der ehrwürdigen Frauen, die auch als Hexen bezeichnet werden. Geheimnisvollen Frauen, die aus den Schatten heraus die Geschicke der Welt lenken. Niemand kennt das wahre Gesicht einer Errish. Niemand weiß, woher sie kommen. Doch alle fürchten ihre Macht. Und jetzt steht eine von ihnen vor ihm und sieht fast aus wie ein junges Mädchen.

Skar musterte sie offen und mit einer Mischung aus Ehrfurcht und unverhohlener Neugier. Sie war noch jünger, als er im ersten Moment geglaubt hatte — vielleicht fünfundzwanzig, kaum älter, obwohl, wie er rasch in Gedanken hinzufügte, Jugend — äußerlich sichtbare Jugend — bei einer Errish nicht viel bedeuten mußte. Sie hatte ein hübsches, ehrlich wirkendes, rundes Gesicht. Um ihren Mund lag ein energischer Zug, und ihre Augen, dunkle Augen, blickten mit einer seltsamen Mischung aus Lebenslust und Ernst in die Welt. Ihr Haar war, wie bei den Errish üblich, im Nacken zusammengeknotet und von einer goldenen Spange gehalten; das einzige, was nicht grau war an ihr. Dunkles Haar, das sehr lang und sehr schön sein muß, wenn es offen herabfällt, dachte Skar. Aber was er sah, war nichts, denn ihr Äußeres war nur eine Maske, perfekt bis ins Letzte, doch nicht mehr als Schein. Niemand hatte je das wirkliche Gesicht einer Errish gesehen.

Doch Vela hat nicht vor, ihre Zeit zu verschwenden. Sie will, dass er den Stein der Macht aus Combat holt, und Skar hält das alles nur für Geschichten, die man sich am Lagerfeuer erzählt. Er lehnt ab, was Vela aber einkalkuliert hat. Sie gibt ihm Bedenkzeit, lässt aber durchblicken, dass sie ein Nein nicht akzeptieren wird.

Wir spüren hier also das Verhängnis bereits nahen. Wir haben einen anstehenden Kampf, der allem Anschein nach bereits abgekartet ist, obwohl Skar nichts davon weiß, wir haben eine Errish, die ein Ziel verfolgt und einen unnachgiebigen Satai. All das sind Voraussetzungen, die uns vorerst erklären, warum Skar durch ein eisiges Gebirge stapft, mit einem Lederbeutel um den Hals, der ein Gegengift enthält. Und auch wenn wir das alles erraten könne, ist es doch Hohlbeins Ausführung der Geschichte, die zwar ihre Schatten für den Leser stets vorauswirft, dann aber in eine Richtung mündet, die keineswegs so leicht vorauszusehen war.

Die brennende Stadt, Kapitel 1 (Enwor #2)

Die brennende Stadt Weltbild

War Der wandernde Wald noch ein Buch, das gut für sich selbst stehen konnte, beginnt mit Die brennende Stadt die Trilogie um den Stein der Macht und damit die eigentliche Sage um Enwor, die noch immer eine der faszinierendsten Arbeiten aus der Feder von Wolfgang Hohlbein ist, vor allem, weil sie zu einer Zeit geschrieben wurde, da vieles in der Fantasy noch als Tolkien-Klon oder Dungeons & Dragons-Abenteuer angelegt war.

Die Geschichte beginnt mit einer Gruppe von zehn Reisenden, die sich durch eine unbarmherzig kalte Berglandschaft kämpfen. Ihr Ziel ist die legendäre, als verflucht geltende Stadt Combat, die tief in einem Tal verborgen liegt. Der Weg dorthin ist brutal – eisige Temperaturen, ein tobender Schneesturm und die Erschöpfung zehren an Körper und Geist der Reisenden.

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Die Enwor-Saga von Wolfgang Hohlbein

In den 80er Jahren haben einige sehr interessante Werke der Fantasy ihren Ursprung. Stephen King begann sein gewaltiges Epos Der dunkle Turm, Stephen R. Donaldson legte seinen Thomas Covenant vor. Und es gab noch andere, die heute zur Grundlage dieses Genres zählen, alles in allem aber war es ein Tasten im Dunkeln. Die meisten Autoren zeigten sich von Tolkien inspiriert, der wie ein Magnet alle Ideen an sich zu reißen schien. Deutsche Autoren waren ohnehin nicht auf dieser Landkarte verzeichnet. Einer von ihnen machte aber gleich in seiner Anfangsphase dann doch von sich reden: Wolfgang Hohlbein. Und scheinbar brauchte der Mann keine Anlaufzeit, denn mit dem ersten Buch seiner Enwor-Saga brach er nicht nur mit der Tradition Tolkiens, sondern demonstrierte auch gleich jene ungeheure Fabulierlust, die ihm nicht nur Lob einbrachte. Was wenige wissen: unbeobachtet von der internationalen Entwicklung war er einer der ersten, die mit Enwor einen Erzählton einführten, der heute als Grimdark Fantasy in aller Munde ist und von Meistern wie Steven Erikson, George R. R. Martin, Scott Lynch oder Joe Abercrombie zu voller Blüte gebracht wurde. Heute gilt es als selbstverständlich, Glen Cook und seine „Black Company“ – Romane als Vorläufer des Genres zu betrachten, die ebenfalls in den 80ern ihren Ursprung haben, aber Wolfgang Hohlbein war ein ganzes Jahr früher dran. Und das ist noch nicht alles: Enwor ist sogar besser. Das zeigt vor allem eins: die schlechte Anbindung deutschsprachiger Literatur an die internationale – und vornehmlich die englischsprachige phantastische Literatur – zu jener Zeit. Wolfgang Hohlbein hat, bescheiden wie er ist, auch niemals darauf hingewiesen. Wahrscheinlich weiß er es nicht einmal. 


Wenn es zum Thema Hohlbein kommt, wird man meistens auf eine geteilte Meinung treffen. Einerseits schreibt der Mann am Fließband und bedient so viele unterschiedliche Genres, dass man bereits von Massenfabrikware sprechen kann. Andererseits sind die Qualitätsschwankungen eben so gewaltig, dass sich von regelrechtem Abraum bis zum phantastischen Feuerwerk nahezu alles in seinem Werk wiederfindet. Hohlbein hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er zur reinen Unterhaltung schreibt. Wenn wir ehrlich sind, tut das jeder gute Schriftsteller, auch wenn einige das gar nicht gerne hören.

Hohlbein ist heute so erfolgreich, dass er hin und wieder – wenn ein Jubiläum oder grundsätzlich eine Neuauflage auf dem Programm steht – Hand an seine Klassiker legt, um entweder Fehler und Ungereimtheiten auszumerzen und sprachliche Patzer zu glätten. Das war der Fall bei seiner Hexer-Reihe, die ja im Groschenroman-Milieu entstand und zu seinen erfolgreichsten Outputs zählt, und ich bin mir sicher, das hat auch bei der vorliegenden Neuauflage der Saga bei Blanvalet stattgefunden. Vorwort oder Einführung gibt es nicht (anders wie beim “Hexer”).  Außerdem hat man wieder einmal die Gelegenheit verpasst, die vier zur Saga gehörenden Kurzgeschichten mitzuliefern, so dass auch diese Ausgabe am Ende nicht komplett sein wird. So bleibt dem Komplettlisten nichts anderes übrig, als nach “Das Vermächtnis der Feuervögel” (Piper) zu suchen, um die allererste Geschichte “Malicia” zu ergattern. “Vela, die Hexe”, “Der Tag vor Harmageddon” und “Der Tempel der Unsterblichkeit” finden sich in “Von Hexen und Drachen” (Bastei-Lübbe).

Bei dieser Neuausgabe aus dem Hause Blanvalet gibt es aber zur Abwechslung auch mal etwas Positives zu vermelden: wir bekommen eine farbige Gesamtsicht Enwors geliefert, und das ist in der heutigen Zeit ja nun auch nicht mehr Standard.

Lovecraft statt Tolkien

Jetzt sind wir schon beim Hauptpunkt angelangt: Ist der Hexer ganz offensichtlich von Lovecraft inspiriert, ist es Enwor nicht minder, wenn auch auf eine ganz andere Weise. Und diese Art und Weise ist so eindrucksvoll, dass Enwor bis heute die beste Fantasy-Serie ist, die aus deutschen Landen kommt. Ich beziehe mich hier allerdings auf die ersten zehn Bände, die ich mehrmals gelesen habe, während ich Buch 11 und alles andere bisher nicht angefasst habe. Ob es diesmal anders wird, kann ich noch nicht sagen, aber ich habe vor, die gesamte Neuauflage zu begleiten.

Was diese Serie so besonders macht, ist natürlich ihr Setting. Das erste Buch erschien 1983. Man kann sich denken, dass die Fantasy-Landschaft damals eine gänzlich andere war als heute. Horror war groß (heute findet er als starkes Genre so gut wie überhaupt nicht mehr statt), und Figurenzeichnungen wie in der modernen Fantasy üblich, gab es eigentlich nicht. Alles richtete sich nach Tolkien aus, er war so gesehen magnetisch Nord, auf fast jedem neuen Fantasybuch war zu lesen: “Der neue Tolkien” oder “In der Tradition Tolkiens”, und ähnliches. Enwor hat nichts mit Tolkien zu tun. Überhaupt nichts. Aber, wie bereits erwähnt, eben mit Lovecraft. Das mag nicht gleich ins Auge springen, denn Hohlbein entwarf hier mit seinem Freund Dieter Winkler eine eigenständige Welt und griffelte nicht am Lovecraft-Mythos herum, wie es heute schon fast üblich geworden ist. Die Idee zu Enwor hatten die beiden bereits seit ihrer Jugend, und während Hohlbein diese Welt an den nordamerikanischen Kontinent anpasste, entwarf Winkler die beiden Satai und ihr unzerstörbares Schwert Tschekal. Skar wurde nach seinen zahlreichen Narben benannt und Del ganz einfach nach der “Delete”-Taste der Computertastatur, schließlich sprechen wir von einer Zeit, in der diese Dinge noch faszinierten.

Es gibt keine Große Alten und keine fischköpfigen Rednecks, aber es gibt etwas ähnliches. Es gibt starke Reminiszenzen, und schließlich gibt es die Sternengeborenen. 

Interessanterweise macht Hohlbein im vormals EndWorld genannten Kosmos das, was Stephen King später mit seinem Dunklen Turm machen sollte (auch wenn man beide Welten nun wirklich nicht miteinander vergleichen kann); er verlässt unsere Erde nicht, um sein Setting zu entfalten, sondern setzt seine Abenteuer in die Zukunft, direkt in eine Zeit hinein, da es unsere Zivilisation schon seit vielen Zehntausend Jahren nicht mehr gibt. Aber das war nicht das einzige Innovative.

Heute spricht man gerne von Grimdark, wenn es sich um eine Geschichte handelt, die ein gewissen Maß an “Realismus” in sich birgt. Mit diesem Realismus ist keineswegs ein Mangel an Fantasie gemeint (ich glaube, wir können uns darauf einigen, dass es Hohlbein daran garantiert nicht mangelt), sondern vor allem das Beiseitelegen eines schwarzweiß-Denkens. Das war zumindest in Deutschland 1983, als “Der wandernde Wald” erschien, ein Novum. Die Gewaltdarstellungen sind hier brutal und detailliert. Zwar wird Hohlbein bei der Entwicklung der Grimdark-Fantasy nicht erwähnt, aber er war durchaus der erste, der etwas Neues versuchte. Und diese Welt, die er gemeinsam mit seinem Freund entwarf, war für damalige Verhältnisse definitiv das Ding der Stunde. Ich selbst bekam Enwor erst zehn Jahre später in die Finger und es war die erste Fantasy-Saga, die ich (nach dem Herrn der Ringe) überhaupt gelesen hatte. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: ich las alle zehn Bücher innerhalb eines Monats. Etwas Vergleichbares war mir zu diesem Zeitpunkt nur mit Stephen King passiert.

Der wandernde Wald

Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass Enwor ein ganzer Zyklus werden würde, und so ist Buch 1 für all jene geeignet, die einfach mal in diese Welt hineinschnuppern wollen. Ohne gleich das ganze Werk zu lesen. Der wandernde Wald funktioniert nämlich als eigenständige Geschichte, die keine weiteren Erkenntnisse benötigt oder am Ende mit einem saftigen Cliffhanger aufwartet.

Dennoch sind hier alle Zutaten vorhanden: Die beiden Satai Skar und Del, die einer sehr interessanten Kriegerkaste angehören, laufen eigentlich immer im roten Bereich. Dass wir sie hier als Freunde kennen lernen, macht die spätere Entwicklung um so tragischer. Hohlbein hat das Spannungsfeld dieser beiden Krieger so aufgebaut, dass es einen wichtigen roten Faden durch den ganzen Zyklus zieht. Skar selbst ist eine Blaupause für Logen Neunfinger aus Abercrombies Klingen-Trilogie. Hätte Hohlbein sein Werk heutzutage verfasst, würde das vermutlich ganz genau so gesehen werden – nur umgekehrt. Ein Krieger, der über die Möglichkeiten seines Körpers zu gehen gelernt hat und der im Kampf von einem Furor erfasst wird, den er gar nicht mehr kontrollieren kann.

Fear and Loathing in Las Vegas

Der amerikanische Journalist Hunter S Thompson ist eine mythische Figur. Seine Legende hat er teilweise selbst lanciert, in anderen Fällen hat sie sich gegen seinen Willen verselbständigt. Norman Mailer nannte ihn „eine Legende, wenn es darum geht, sich selbst zu zerstören“. Sein Biograph Jean Carroll berichtet von seinem strikten Arbeitstag, der täglich um 15 Uhr begann. Während des Schreibens konsumierte er Chivas Regal, Dunhills, Kokain, Orangensaft, Marihuana, Bier, LSD, große Mengen an Lebensmitteln, Chartreuse, Gewürznelken, die er in Zigaretten steckte, Gin und Pornofilme. Danach verbrachte er ein bisschen Zeit am Swimming-Pool mit Champagner und Eiscreme. Das war ganz im Sinne der Drogensammlung Raoul Dukes, dem Ich-Erzähler in Fear and Loathing in Las Vegas:

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