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Schlagwort: Portraits

Emma Frances Dawson

Emma Frances Dawson wurde 1838 in Bangor, Maine geboren, aber ihr Geburtsjahr ist umstritten. Sie verdiente ihr Geld durch Übersetzungen aus dem Lateinischen, Griechischen, Französischen, Deutschen und Spanischen, was bereits ihre geballte Sprachkraft andeutet. Außerdem gab sie Musikunterricht und schrieb Kurzgeschichten der befremdlichen oder unheimlichen Art, die in die Veröffentlichung “An Itinerant House an Other Stories” 1896 einflossen.

Das Buch ist mittlerweile eine gesuchte Rarität, für das man mehrere hundert Dollar auf den Tisch legen muss, falls man es überhaupt noch findet. Die Rettung dieser außergewöhnlichen Kollektion kam durch Thomas Loring and Company of Portland, Maine mit einer Faksimile-Ausgabe zustande. Das Original wurde um weitere Geschichten und eine Einführung von Robert Eldridge Pinkney ergänzt. Außerdem enthält es zehn Original-Illustrationen von Ernest C. Peixotto, einem Freund der Dichterin. Ambrose Bierce war einer ihrer Mentoren und schrieb: “Sie überragt jeden Schriftsteller an dieser Küste, mit dessen Arbeit ich vertraut bin.” Nach ihrem Tod wurde ihr von Helen Throop Purdy attestiert:

“Sie besaß eine Phantasie und einen Stil, der selten ist. Ihre Erzählungen stehen an Atmosphäre jenen Poes in nichts nach.”

Den größten Teil ihres Lebens verbrachte Emma Dawson in der Umgebung von San Francisco, vor allem in Palo Alto, als Einsiedlerin und völlig verarmt. Nach einem Schlaganfall wurde sie erst drei Tage später entdeckt und in ein Krankenhaus gebracht, in dem sie eine Woche später im Alter von 86 Jahren 1926 verstarb. Trotz ihres schwierigen und einzigartigen Stils und der Dunkelheit ihrer Geschichten ist sie unter den Connaisseurs der phantastischen Literatur hochgeachtet. Leider ist Emma Frances Dawsons Werk für den deutschen Markt nicht erschlossen und das wird sich, betrachtet man die literarische Situation hierzulande, wahrscheinlich auch nicht ändern.

David H. Keller

Nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichten Amerikas Pulp-Magazine zunehmend Science-Fiction neben den üblichen Genres Western, Fantasy und Horror. Redakteure waren auf der Suche nach neuen Autoren in diesem aufstrebenden Segment, und Ende der 1920er Jahre “gab es nur einige wenige Autoren, die in der Lage waren, hochwertige Science-Fiction zu produzieren”, schreibt der britische Literaturhistoriker Mike Ashley. “Die besten in diesen frühen Jahren waren Miles J. Breuer und David H. Keller, beide faszinierend, Ärzte.” Beide Autoren verbrachten auch den Ersten Weltkrieg im Army Medical Corps; während seines Dienstes half David H. Keller (ein Neuropsychiater) bei der Behandlung von Granatenschockopfern.

Keller schrieb sechs Jahrzehnte lang Romane, während er in seinen verschiedenen medizinischen Berufen arbeitete: als Arzt oder Leiter in psychiatrischen Einrichtungen in Pennsylvania, Illinois, Louisiana und Tennessee, während des Militärdienstes in beiden Weltkriegen. Seine Karriere als Schriftsteller begann früh. 1895, im Alter von fünfzehn Jahren, veröffentlichte er eine Geschichte in einer lokalen Zeitschrift; während des Studiums reichte er ein Dutzend Geschichten und Gedichte bei einer kleine Literaturzeitschrift ein. Doch in den folgenden drei Jahrzehnten schreib er fast ausschließlich für sich selbst. Von seiner Frau angeregt, begann er Ende der 1920er Jahre, seine Geschichten zu verschicken und stellte fest, dass der Markt seinen persönlichen Geschmack endlich eingeholt hatte; seine erste Einreichung bei einer nationalen Zeitschrift wurde sofort angenommen und erschien als “The Revolt of the Pedestrian” in der Februarausgabe 1928 der kürzlich gegründeten Amazing Stories. Daher ist es fast unmöglich, Kellers Werk mit Genauigkeit zu datieren; viele seiner Stücke waren Jahre oder sogar Jahrzehnte früher entstanden. Darüber hinaus ist viel von seiner Arbeit verschwunden, weil er dafür bekannt war, Geschichten (kostenlos) an Fanzines, Amateurmagazine und obskure Zeitschriften zu schicken. Jedenfalls erlaubte ihm seine neue Karriere, eine kleine Privatpraxis als Psychiater zu gründen, was ihm genügend Stunden am Tag ließ, um ein “Vollzeit”-Autor zu sein.

Trotz der Allgegenwart seiner Texte in den Pulp-Magazinen (ganz zu schweigen von seinen zahlreichen Publikationen in Buchlänge) ist der Großteil von Kellers Fiktion inzwischen vergessen und vergriffen. Dennoch tauchen in Anthologien noch immer einige wenige Geschichten häufig auf. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Psychothriller (u.a. “Das Ding im Keller” (vielleicht seine berühmteste Geschichte) und Fantasy-Erzählungen, die einen zynischen Blick auf die Hybris der Wissenschaftler werfen (z.B. “The Jelly-Fish”). Eine Bewertung von Kellers Karriere durch den Science-Fiction-Redakteur Everett F. Bleiler fasst zusammen:

“Keller hatte erhebliche Vorbehalte gegenüber dem technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt, und seine Arbeit war ungewöhnlich, fast einzigartig, wenn man die Auswirkungen eines solchen Fortschritts auf den Einzelnen und die Gesellschaft in der Regel negativ betrachtet.”

Der Tramp (Ein mittelloser Jedermann)

Charlie Chaplin war auf eine Art und Weise berühmt, wie es noch niemand zuvor war; wahrscheinlich war seitdem niemand wieder jemals so berühmt. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität galt seine schnurrbärtige Interpretation des „Tramp“ als das bekannteste Bild der Welt.

Der Tramp
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Lovecraft und der Cthulhu-Mythos

“Ich hege keine trügerischen Hoffnungen gegenüber dem heiklen Zustand meiner Erzählungen, und ich erwarte nicht, ein ernsthafter Konkurrent der von mir bevorzugten Autoren unheimlicher Literatur zu sein”, schrieb Lovecraft 1933 in seinem autobiographischen Essay “Some Notes on a Nonentity”. Er fügte hinzu: “Das einzige, das ich zugunsten meiner Arbeit ins Feld führen kann, ist ihre Aufrichtigkeit.”

H.P. Lovecraft

Mit dem Begriff Weird Fiction verhält es sich ähnlich wie mit dem der amerikanischen Short Story. Beide lassen sich nicht verlustfrei ins Deutsche übertragen, denn weder ist die Weird Tale identisch mit unserem Verständnis einer unheimlichen Erzählung, noch ist die Short Story einfach eine Kurzgeschichte. Das führt zu Komplikationen im Übersetzungswirrwarr. Noch verwirrender wird es, wenn man die Weird Tale einfach mit einer Horrorgeschichte gleichsetzt. Lovecraft zum Beispiel benutzte das unheimliche Element, um sein eigenes Werk zu beschreiben, wurde aber präziser, wenn er es als „Literatur des kosmischen Grauens“ oder „Literatur der Angst“ bezeichnete. Diese Aussagen deuten darauf hin, dass Lovecraft sich selbst im Horrorgenre verortete.

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Coelho Neto, ein brasilianischer Autor unheimlicher Phantastik

Man könnte nicht sagen, dass die brasilianische Phantastik im deutschen Sprachraum sehr bekannt oder populär wäre – es sei denn, man zählt den unsäglichen Kitsch-Mystiker Paulo Coelho zur phantastischen Literatur. Ich habe seinerzeit mit wenig Erfolg bei Suhrkamp zwei Bände moderner brasilianischer Autoren veröffentlicht: die Sammlung unheimlicher Erzählungen Die Struktur der Seifenblase. Unheimliche Erzählungen, aus dem brasilianischen Portugiesisch von Alfred Opitz, von Lygia Fagundes Telles (1923- ), als Bd. 105 der „Phantastischen Bibliothek“ (suhrkamp taschenbuch 932) und 1993 Der Feuerwerker Zacharias (Os dragões e outros contos). Aus dem. brasilianischen Portugiesisch mit einem Nachwort von Ray-Güde Mertin, von Murilo Rubião (1916-1991), („Phantastische Bibliothek Bd. 292, suhrkamp taschenbuch 2151, als Nachdruck der Buchausgabe bei Suhrkamp von 1981). Das waren, trotz täuschender Einfachheit und paradoxer Klarheit der Formen komplexe modernistische Texte, die wenig mit klassischen Gespenster- oder Horrorgeschichten zu tun haben, sondern vielmehr das Absurde als Metapher für das Absurde menschlicher Existenz verwenden.

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Poe und Lovecraft

Geschrieben von Robert Bloch

Ich vermute, dass sich Vergleiche zwischen Edgar Allan Poe und Howard Phillips Lovecraft nicht vermeiden lassen, in den letzten Jahren (1973) sind sie bereits unüberschaubar geworden. Ich werde die üblichen Hinweise auf die Ähnlichkeiten in ihrem Werk nicht wiederholen – es wird also grundsätzlich keine Erwähnung von schwarzen Katzen, Wiedergängern oder antarktischen Schauplätzen geben. Auch habe ich nicht die Absicht, mich auf die Seite jener zu schlagen, die behaupten, dass es keine wirklichen Berührungspunkte gibt, außer den üblichen Figuren und Themen, die allen Geschichten des Genres gemeinsam sind.

Für mich ist das eine unhaltbare Aussage: Lovecraft war, wie jeder Autor von Fantasy oder Horrorliteratur nach Poe, notwendigerweise von den Werken seiner Vorgänger beeinflusst – und in gewisser Weise muss sein Werk von diesem Einfluss abgeleitet werden. Tatsächlich zeigt die Hommage an Poe in Lovecrafts Essay Supernatural Horror In Literature einen Grad der Wertschätzung und Bewunderung, die keinen Zweifel am tiefen Eindruck aufkommen lässt, den dieser frühe Meister auf ihn ausübte. Jedoch stellt für mich die Untersuchung ihrer Hintergründe und ihrer Persönlichkeiten den fruchtbarsten Bereich dar, beide miteinander zu vergleichen.

Schauen wir uns die Fakten an. Sowohl Poe als auch Lovecraft wurden in New England geboren. Beide wuchsen in jeder Hinsicht ab einem frühen Zeitpunkt ihrer Kindheit vaterlos auf. Beide hegten eine lebenslange Liebe zur Poesie und den Elementen einer klassischen Ausbildung. Beide nutzten einen altertümlichen Stil und waren beherrscht von einer persönlichen Exzentrik, die sie die ganze Zeit bewusst pflegten.

Obwohl Poe einen Teil seiner Jugend in England verbracht hatte und im späteren Leben an der Atlantikküste entlang reiste – und obwohl Lovecraft sich für einen Urlaub nach Kanada und ein paar Jahre vor seinem Tod hinunter nach Florida gewagt hatte – bewegte sich keiner der beiden je westlich der Appalachen. Lovecraft umging sie, um E. Hoffman Price einen kurzen Besuch in New Orleans abzustatten, aber grundsätzlich waren er und Poe Männer des Ostens. Ihre Auffassung war provinziell, und das sogar eng gesteckt.

Beide Männer waren gegenüber Ausländern in der Masse misstrauisch: beide hegten eine tiefe Bewunderung für die Engländer. Diese Haltung ist offensichtlich in ihrem Werk vorhanden, und es gibt mit einigen Weglassungen und Veränderungen die Hauptströmung des amerikanischen Lebens wieder.

Ein Leser, der versucht, einen kurzen Blick auf die Vereinigten Staaten  von 1830 – 1850 zu werfen, würde eine kleine Erleuchtung bei der Lektüre von Poes Gedichten und Erzählungen bekommen. Das war die Zeit, wo die ganze Nation einen westlichen Schub bekam, beginnend bei der Wanderung der Trapper und Pelzhändler in den Rocky Mountains bis zum Ende des Goldrauschs in Poes Todesjahr. Und keine Spur findet sich davon in seinem Werk.

Bryoneske Helden, die in abgeschiedenen Britischen und kontinentalen Örtlichkeiten kaum die Amerikanischen Verhaltensweisen reflektieren, den Fall des Alamo, den Mexikanischen Krieg und den wachsenden Aufruhr gegen die Sklaverei.

Auch wird ein Leser kaum weniger typisch Amerikanische Protagonisten unter den Anhängern, Professoren und regional Orientierten finden, die Lovecrafts Erzählungen dominieren, in denen es kaum einen Hinweis auf die Roaring Twenties oder die Große Depression gibt, die im darauffolgenden Jahrzehnt folgte. Abgesehen von ein paar Bemerkungen über den Zustrom von Immigranten und der damit verbundenen Zerstörung alter Traditionen und Orientierungspunkten, sowie die kurze Erwähnung Intellektueller, wilder Studentengruppen, ignorierte Lovecraft das Nachkriegs-Jazz-Jahrzehnt völlig: Coolidge, Hoover, FDR, Lindbergh, Babe Ruth, Al Capone, Valentino, Mencken und die Prototypen des Bürgertums haben keine Existenzberechtigung in HPLs Gefilden. Es ist schwer zu glauben, dass Howard Philipps Lovecraft ein literarischer Zeitgenosse Hemingways war.

Und noch einen weiteren Vergleich zwischen Lovecraft und Poe gibt es; einen von ungeheuerlicher Wichtigkeit in jeder Hinsicht auf ihr Werk, weil er den Vorwurf mildert, dass zwei Schriftsteller der aktuellen Welt völlig ahnungslos und unrealistisch gegenüberstanden.

Natürlich verweise ich auch auf ihr Interesse an der Wissenschaft. Beide, Poe und Lovecraft, waren scharfsinnige Beobachter der wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Entwicklungen ihrer Tage, und beide verarbeiteten die neuesten Erkenntnisse und Theorien in ihren Schriften. Man muss sich nur Poes Gebrauch des Mesmerismus, seine Beschäftigung mit der Ballonfahrt (Balloon Hoax), die detaillierte Nutzung von Daten in Arthur Gordon Pym ansehen, um das zu untermauern.

Lovecraft für seinen Teil berief sich auf wissenschaftliches Hintergrundmaterial in seiner Pym-ähnlichen Erzählung Die Berge des Wahnsinns, in Der Schatten aus der Zeit und anderen Arbeiten; bemerkenswert ist seine sofortige Aufnahme des neu entdeckten “neunten Planeten” in Der Flüsterer im Dunkeln.

Das Interesse Lovecrafts an Astronomie führte zweifellos zu seinem zunehmenden Interesse an anderen Bereichen wissenschaftlichen Strebens, so wie Poes frühe Erfahrung in West Point seine Beschäftigung mit Codes und Ziffern befeuert haben müssen. Und beide waren als professionelle Schriftsteller weitläufig belesen und kannten die Literatur ihrer Zeit genau: Poe als Berufskritiker demonstrierte seine Kenntnisse in seinen Aufsätzen und Lovecraft tat dies in seiner gewaltigen Korrespondenz, in der er beweist, dass er Proust, Joyce, Spengler und Freud gelesen hatte.

Aber der Punkt ist, dass sich Poe und Lovecraft dazu entschieden haben, dem Gebaren der zeitgenössischen Literatur den Rücken zu kehren und ihre eigenen individuellen Phantasiewelten zu erschaffen. Und vor allem darin waren sie sich gleich. Und darüber sind wir Leser von Poe und Lovecraft über alle Maßen glücklich. Wir werden nie erfahren, und uns ist es auch egal, was Edgar Allan Poe über Andy Jacksons “kitchen cabinet” dachte, oder wie H.P. Lovecraft den Teapot Dome Scandal (Anmerkung des Übers.: amerik. Bestechungsskandal der 1920er Jahre) betrachtete. Das ist leicht zu verschmerzen, wo uns doch beide Einblicke in eigenartige Welten gegeben haben, die, völlig provokativ, ihre eigenen sind.

Die schlußendliche Ähnlichkeit aber ist die: Poe und Lovecraft sind unsere zwei Amerikanischen Genies der Fantasy, der eine vergleichbar mit dem anderen, aber beide allen überlegen, die in ihrem Fahrwasser treiben.

Copyright-Notiz: Übersetzt von Michael Perkampus © 2017. Der Artikel erschien im Original in “Ambrosia Nr. 2” (August, 1973), © 1973 Alan Gullette und Robert Bloch. Der Nachdruck erschien in H.P. Lovecraft: Four Decades of Criticism, editiert von S.T. Joshi, Ohio University Press, 1980), pp. 158-160, © 1980 Ohio University Press.

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