Kult!

Monat: November 2022

Pinoccio (Der hölzerne Junge)

Ikonische Filme und Geschichten, die sich tief in die Erzählung der Gesellschaft eingegraben haben, verlieren oft mit der Zeit ihre substanzielle Wirkung. Das trifft vor allem immer dann zu, wenn der Disney-Konzern sich eines eigentlich düsteren Märchens annimmt und dieses in ein zuckriges, ungenießbares Substrat verwandelt. Eines der besten Beispiele ist Dornröschen. Der Film basiert natürlich auf dem Märchen, in dem ein verheirateter König ein schlafendes Mädchen findet, das er nicht aufwecken kann und stattdessen vergewaltigt.

Die 1940er Version von Pinocchio ist da keine Ausnahme. Der Film basiert auf einer Geschichte, die 1881 und 1882 von Carlo Collodi als Fortsetzungsgeschichte mit dem Titel Die Abenteuer des Pinocchio in einer Zeitung veröffentlicht wurde. Jiminy Cricket erscheint im Buch als Sprechende Grille und spielt keine so große Rolle.

Er taucht zum ersten Mal in Kapitel 4 auf, in dem die Binsenweisheit veranschaulicht wird, dass Kinder es nicht mögen, wenn ihr Verhalten von Leuten korrigiert wird, die viel mehr wissen als sie selbst. Als die sprechende Grille Pinocchio sagt, er solle wieder nach Hause gehen, springt Pinocchio wütend auf, nimmt den Hammer von der Bank und wirft ihn mit aller Kraft nach der Grille.

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Jim Butcher: Wolfsjagd (Die dunklen Fälle des Harry Dresden 2)

Wir kommen heute zum zweiten Teil der beliebtesten und wahrscheinlich besten Urban Fantasy-Serie der Welt. Es geht um die dunklen Fälle des Harry Dresden, im Original Dresden-Files. Der Titel: Full Moon, bei uns: Wolfsjagd. Blanvalet legt die Bände, die bei uns nie vollständig erschienen, wieder neu auf – und das ist ein echter Glücksfall. Auch wenn man ganz leicht in die Serie reinkommt, empfiehlt es sich doch, am Anfang anzufangen. Und wer sich dafür interessiert, der kann sich hier im Phantastikon bereits die Sendung zu Sturmnacht anhören.

Bevor wir ins Geschehen hüpfen – möglichst Spoilerfrei, obwohl sich das nicht gänzlich vermeiden lässt – noch ein kleiner Nachtrag zum Autor selbst. Wer ist Jim Butcher überhaupt?

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Stephen King Re-Read: Der Turm

Englische Taschenbuch-Ausgabe

Eine Pilgerreise, die mit der Aufgabe eines einzelnen Mannes begann, mehrere Welten vor Chaos und Zerstörung zu bewahren, entwickelt sich zu einer Geschichte von epischem Ausmaß und zog seine Leser mit seinem fantastischen Zauber in seinen Bann. Und diejenigen, die Roland, Eddie, Susannah, Jake und Oy seither treu begleitet haben, werden für ihre Treue reich belohnt, auch wenn es natürlich kritische Stimmen gibt, die vieles an diesen sieben Büchern nicht mochten und das Ende eher weniger verstanden haben. Es ist wie so oft eine Frage der Erwartungshaltung. King bietet Lesefutter für die unterschiedlichsten Kreise. Man kann ihn oberflächlich lesen und man kann ihn unter literaturwissenschaftlichen Bedingungen lesen. Man kann ihn philosophisch lesen oder als Chronisten des amerikanischen Lebens. Jeder Leser hat seinen eigenen King.

Mit “Der Wind durchs Schlüsselloch”, von Heyne einfach mit “Wind” überschrieben, wird es noch einen kleinen Nachschlag geben, der allerdings für unsere Heldengruppe nicht relevant sein wird. Ich nutze die Gelegenheit, noch einmal Revue passieren zu lassen, wofür der dunkle Turm steht, ohne tatsächlich viel auf den Inhalt einzugehen, Spoiler zu diesem Buch wird es also hier nicht geben.

Stephen King begann 1970 mit dem Schreiben dieser Reihe, als er noch ein unglaublich ehrgeiziger Schriftsteller war. Während er noch die Universität von Maine besuchte, schrieb er die ersten Kapitel des ersten Buches. Das Projekt kam allerdings nicht so schnell voran, da zwischen einigen Büchern 6 Jahre Abstand lagen. 1999, kurz nach seinem beinahe tödlichen Unfall, widmete King seine ganze Aufmerksamkeit der Vollendung der sich lange hinziehenden Serie. Er vollendete die letzten drei Bücher der Reihe sehr schnell. Diese Romane sind von wahrer erzählerischer Magie erfüllt, fesselnd und immer wieder überraschend. Aber sie sind ein guter Abschluss dieser großen Geschichte, von der King glaubte, dass er sie nie beenden könnte.

Die Hauptquelle für all diese Romane war das Gedicht “Childe Roland to the Dark Tower Came” von Robert Browning. Dieses Gedicht lieferte das zentrale, wiederkehrende Thema Kings und seiner Figur Roland Deschain von Gilead. J.R.R. Tolkien, L. Frank Baum, Clifford D. Simak und die Werke von Filmemachern wie John Sturges, Akira Kurosawa und Sergio Leone waren weitere Quellen, die King verwendete. Leones Dollar-Trilogie diente als Vorlage für Roland und das brutale, schöne Land, durch das er reiste.

“Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm”,

so eröffnete er die Reise Rolands. Roland ist der letzte Revolverheld in einer schnell zerfallenden Welt. Er ist auf dem Weg zum gleichnamigen Turm, der sich an einem Ort befindet, an dem eine unendliche Anzahl von Parallelwelten miteinander verbunden sind, und der Turm steht in der Mitte von ihnen. Der Turm wird von einer Reihe sich kreuzender Balken zusammengehalten. Außerdem wird er vom scharlachroten König angegriffen, der plant, den Turm niederzureißen und in dem darauf folgenden Wahnsinn zu herrschen. Rolands Ziel ist es, den Turm zu retten und in den Raum an der Spitze des Turms zu gelangen. In diesem Raum wartet ein unbekanntes Schicksal auf ihn.

Roland versucht in den ersten Büchern ein Trio mögliicher Gefährten aus drei verschiedenen Versionen Amerikas an sich zu binden.

Eddie Dean ist die erste Figur, wenn man einmal von Jake absieht, der bereits in “Schwarz” auftaucht, mit dem es allerdings eine besondere Bewandtnis hat. Eddie ist ein Heroinsüchtiger, der nur noch wenig Hoffnung hat und auf seine letzte Chance wartet. Odetta Holmes ist die zweite Figur, eine Frau, die im Rollstuhl sitzt. Sie ist eine Bürgerrechtsaktivistin, die mehrere Persönlichkeiten in sich vereint. Später wird sie sich Susannah nennen. Jake Chambers ist die erste und die dritte Figur des Romans. Er ist ein 11-jähriger Junge, der gerade von den Toten zurückgekehrt ist, um sich Roland als Revolvermann anzuschließen. Diese Figuren bilden den Kern der heiligen Gemeinschaft, die Roland auf seiner langen Reise begleiten.

King erklärte später, diese Buchreihe sei seine “Übergeschichte”, der Mittelpunkt seines Schaffens, die seine gesamte Karriere, faktisch alle Romane und Kurzgeschichten, umfasst. Im gesamten Epos um den dunklen Turm geht es um Geschichten, um die Macht der Erzählung, die unser individuelles Leben formt und prägt. Es geht auch um die Dinge, die uns menschlich machen: Liebe, Verlust, Trauer, Ehre, Mut und Hoffnung.

“Auf einer noch tieferen Ebene ist es eine Meditation über die erlösende Möglichkeit einer zweiten Chance, ein Thema, das King sehr gut kennt. Indem er dieses gewaltige Projekt zum Abschluss brachte, hat er seinen Lesern die Treue gehalten und seine eigene zweite Chance bestmöglich genutzt. Der Dunkle Turm ist ein humanes, visionäres Epos und ein wahres Magnum Opus. Es wird noch sehr lange in Erinnerung bleiben”,

so Bill Sheehan von der Washington Post.

Tatsächlich verwebt King seine eigene Lebensgeschichte immer mehr mit der Geschichte von Roland und seiner Ersatzfamilie von Revolverhelden und deutet in diesem letzten Teil spielerisch und verführerisch an, dass es vielleicht nicht der Autor ist, der die Geschichte vorantreibt, sondern eher die fiktiven Figuren, die den Autor kontrollieren.

Diese philosophische Erkundung des freien Willens und des Schicksals mag diejenigen überraschen, die King bisher nur als produktiven Schriftsteller von übersinnlichen Märchen gesehen haben, und das sind merkwürdigerweise noch immer eine Menge. Aber ein genauerer Blick auf die brillante Komplexität seiner Welt sollte klären, warum dieser Bestsellerautor längst schon für seinen Beitrag zum zeitgenössischen Literaturkanon anerkannt wird. Mit dem Abschluss dieser Geschichte im Jahre 2004, die eigentlich das letzte veröffentliche Werk seiner Karriere werden sollte, hat King zweifellos einen weiteren Gipfel seines Könnens erreicht. Und was die Frage angeht, wer oder was sich auf der Spitze des Turms befindet… Die vielen Leser, die es unbedingt wissen wollen, müssen am Anfang beginnen und sich nach oben arbeiten.

Die Ernte des Bösen / Robert Galbraith

Zunächst einmal muss ich sagen, dass Blue Oyster Cult einer meiner Lieblingsbands ist, die viele aufgrund ihres Songs “Don’t fear the Reaper” kennen dürften. Das vorliegende Buch ist im Original nach einem anderen Song benannt: “Career of Evil“, von einem der besten Alben aller Zeiten, dem 1974 erschienenen “Secret Treaties“. Übersetzt wird daraus “Die Ernte des Bösen”, aber wider Erwarten habe ich daran überhaupt nichts auszusetzen. Erschienen ist das Buch im Februar 2016 bei Random House und es ist nicht nur nach einem Blue Oyster Cult Song benannt, sondern jedes Kapitel auch mit einer Textzeile aus ihrem Werk überschrieben.

Die Verbindung ist natürlich nicht willkürlich. BÖC war die Lieblingsband von Cormoran Strikes Mutter und der Detektiv glaubt ja, dass sie nicht zufällig an einer Überdosis Heroin gestorben ist, sondern ermordet wurde.

Anders wie in den ersten beiden Bänden, wird es hier von Anfang an persönlich.

Ich konnte den dritten Band der Reihe allerdings erst besprechen, nachdem ich auch den vierten Band gelesen hatte, was zum Teil an einem wirklich hollywoodreifen Cliffhanger liegt, der die beiden Bücher miteinander verbindet. Beim schreiben des vorliegenden Bandes scheint Rowling aufgegangen zu sein, was sie an ihren Hauptfiguren tatsächlich hat – und auch wenn zeitweise alles schwer in romantische Gefilde abzugleiten droht, lässt die Autorin die Zügel nicht schleifen.

Obwohl Cormoran Strike und Robin Ellacott gerade zwei große Fälle erfolgreich gelöst haben, ist nicht alles in Ordnung. Zwar läuft es für Cormoran, der neuerdings mit der glamourösen Elin zusammen ist, ganz gut, aber Robins Beziehung zu ihrem Verlobten Matthew war noch nie so schlecht wie jetzt – sie streiten sich fast jeden Tag über Robins Job und ihre (rein platonische, was auch immer Matthew denken mag!) Beziehung zu Strike. Natürlich werden die Dinge noch viel chaotischer, als Robin ein abgetrenntes Bein mit der Post erhält.

Die Ernte des Bösen ist vielleicht der beängstigendste von Galbraiths bisherigen Romanen, da der Roman mit Kapiteln aus der Sicht des mysteriösen und verdrehten Mörders durchsetzt ist, die seine Handlungen und seine Identität andeuten, ohne etwas vollständig zu enthüllen. Diese Kapitel sind umso unheimlicher, als von Anfang an klar ist, dass der Mörder zwar Cormoran schaden, aber Robin töten will. Zu wissen, dass eine der Hauptfiguren in unmittelbarer Gefahr ist, verleiht Strikes Ermittlungen eine ganz andere Dimension – und es ist natürlich interessant, Zugang zu Informationen zu bekommen, in die nicht einmal Cormoran selbst eingeweiht ist.

In mancher Hinsicht ist der dritte Teil auch der dritte Gang in der Entwicklung der Hintergrundgeschichte. Strike ist mittlerweile bekannt wie ein bunter Hund und Robin sieht in ihrem Verlobten fast schon ein Hindernis für die Leidenschaft, die sie der Ermittlungsarbeit entgegenbringt.

War es leicht, die ersten beiden Bände im klassischen Krimihandwerk zu verorten, bricht Rowling hier in Richtung Thriller auf und lässt Cormoran und Robin zu einem Balzspiel tanzen, das sie interessanterweise voneinander zu entfernen scheint.

Strike kommen sofort vier Männer aus seiner Vergangenheit in den Sinn, die wahnsinnig genug sind – und ihn genug hassen -, um ihm ein abgetrenntes Bein zu schicken. Während er jeden einzelnen in Betracht zieht, erhält der Leser einen größeren Einblick in Cormorans früheres Leben und seine Arbeit. Das ist nicht nur faszinierend, sondern auch eine brillante Erzähltechnik, da Strike als Figur eher zurückhaltend ist, wenn es um seine Vergangenheit geht; wir dürfen also einen Blick auf Bereiche seiner Vergangenheit werfen, die er normalerweise nicht aufgreifen würde.

Da ist zum Beispiel die Geschichte zwischen dem zweitklassischen Möchtegern-Musiker Jeff Whitaker, der mit Strikes Mutter verheiratet war, die im ersten Band bereits angedeutet wurde und hier ihre Ausführung erfährt. Es sind diese Geschichten in Geschichten, mit denen Rowling Strikes Vergangenheit Stück für Stück und wohldosiert entblättert – das eigentliche Salz in der Krimi-Suppe. Jede gute Literatur ist von der Vergangenheit geprägt, von Erinnerungen und dem biographischen Werden.

Es ist nicht nur Cormoran, über den wir mehr erfahren. Zum ersten Mal bekommen wir auch einen guten Einblick in Robins Vergangenheit und ihre Beweggründe. Rowling nimmt sich viel Zeit, um die Beziehung zwischen Robin und Matthew zu erkunden, sowohl im Guten als auch im Schlechten, was eine gewisse Abweichung von den früheren Romanen darstellt. Matthew-Hasser werden hier reichlich Futter für ihr Feuer finden, aber wir bekommen auch zu sehen, was Robin in ihm sieht.

Die Charakterisierung in diesem Roman ist also wieder einmal hervorragend. Darüber hinaus führt die Autorin einige interessante neue Charaktere ein. Wardle kehrt in diesem Buch zurück, und seine Interaktionen mit Strike bekommt eine neue Facette. Und auch ein Mann namens Shanker bekommt seinen Auftritt – und man wird das Gefühl nicht los, als formiere sich hier auf lange Sicht ein äußerst ungewöhnliches Team, vor allem, wenn man bedenkt, dass Wardle Strikes einzige halbwegs vernünftige Beziehung zur Polizei ist und Shanker ein Dieb, den Strikes Mutter einst vor dem Verbluten rettete.

Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal tatsächlich Robert Galbraith zu lesen und nicht eine weltberühmte Autorin, die wieder einmal zeigen will, was sie kann. Der Erfolg der ersten beiden Bände dürfte die Fesseln endgültig gesprengt und sie dazu getrieben zu haben, ihre Serie endgültig zu festigen.

Fantômas (Genie des Bösen)

Wenn es um Bösewichte geht, ist Fantômas selbst in diesem Kreis noch der Böse. Er wurde 1911 ins Leben gerufen und ist das, was man einen Gentleman-Ganoven nennen könnte, der grausame, sorgfältig geplante Verbrechen begeht, ohne ein klares Motiv zu haben. Manchmal hängt er sein Opfer an eine Kirchenglocke, damit beim Läuten das Blut auf die Gläubigen spritzt. Er versucht, den Detektiv Jove, der ihm auf der Spur ist, zu töten, indem er ihn in einem Raum gefangen hält, der sich langsam mit Sand füllt. Er häutet ein Opfer und macht aus den Händen des Toten Handschuhe, um die Fingerabdrücke der Leiche am Tatort zu hinterlassen.

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