Die Veranda

Kult!

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Akt in Voliere

die Bewegung des Schwertes 
durchs Kissen, gegen jeden
Widerstand gedrückt

Blumenstämme, die Rippen einer Heizung, die
rechte Hand, seltener die linke, die Vorstellung
macht die eigene Hand zur Hand einer Ballerina,

die einem gereicht wird, nicht die eigene, die fremde,
die alles umschließt, ohne sich dabei selbst zu umschlingen

die bizarre Form einer aufgelösten Form, die
um die hochnotpeinliche Befragung bittet

Teufelsbuhler, verhältst dich wie
in schütteren Stunden, in den Besenstiel verliebt

da gab es eine unter ihnen, die Kehlen aufriss, während
farbloser Schleim aus den Röhren schoss, sich dann
unter dem röchelnden Fleisch rötete &
schäumte

& Leben
& Lust, jetzt ist es eins, verstanden

da gab es eine unter ihnen, die für
eine Tüte Gummibären die Rechte oder die Linke lieh

oder war es ein Traum, dass derartiges auf dem Dorf
genauso groß sein konnte wie in der verderbten Stadt?

Kurze Pause im Stillen

Habe in einem gedicht alles;
der sessel steht da,
das bier
feiert sein schlachtfest.
Es bleibt nur, sich
zu wehren übrig,
indem man das glitzern im
schlamm ertränkt
und dem dreck huldigt :

Armen-
haus
wie
stinkst
du
nach Wahrheit!

partita

spinnen beim schafott
fangen auch angelockte
fliegen, die sich sicher
fern der blumen wähnen
deren düfte sie vertreibt

aber wie ein sinn schaut
man nie das eigne blut
im körper, schaut nur sinnen-
froh wie andre
ihres eigenen beraubt

Candela

Candela - du kommst näher, 
ganz wie ein Mantel umhüllst du mich,
mit deinen Geisterfingern rankst du
wie der Honig fällt, hast dich
mit blauen Blumen als Gefährt
zu meinem Traum gesellt,
erdrücken wir die Zeit,
die Luft doch noch,
als hätten wir Gewicht.

Der Betrachter deiner Schönheit,
ich stehe außerhalb davor
und blicke in eine
Galerie deiner Bewegungen,
Mimiken,
Gesten,
ich entscheide, wer ich sein werde,
wenn ich die Augen schließe,
um dich auch in mir zu erschaffen
und ich entscheide mich immer dafür,
derjenige zu sein, der dir gehört.

Brinkmann

      wenn ich mir dich so an
schau, könnten wir gleich ein Bier
miteinander oder ist es eine Tank
stelle wo du in die Camera glotzt?

oder was ist
nicht gut mit dir?
oder was ist
denn los jetzt?

Deine Lederjacke gib sie mir
oder das Auto hinter deiner
linken Schulter
oder die Zeit zurück

Schlafmähre

Dunkle Wasser; die Nacht :
schnell rast sie an,
um die Ecke der Häuser gewickelt.

Ankerplatz. Bis wir endlich
mit Gewalt auf diese Insel der Träume rückten,
in den Hafen, den sie Schlaf nennen, einbogen,
und stiegen bei dem Elfenbeintor an Land.

Doch jetzt noch Schlaf finden,
Gespenster in Kellern, ich mit ihnen. “Wo hin? –
Wo hin?”, der Wind nimmt die Verfolgung auf;
schlaf, ein Herz, doch vorher richte dir ein Lager! –

Die Schulter dagegen, diese Tür ist zu;
eine wird sich finden lassen.
Schlafmähre, Elfentraum, Couchemar,
Fell so weiß. die Abendgeräusche.

Die Vererbung ist ein Speicher für alle Erfolge, die das leben jemals errungen hat. Die Niederlagen werden vergessen. Kein Fehler bleibt im genetischen Code bewahrt. Durch diese Perseveranz lernt die Natur aus ihren Fehlern nicht und wiederholt sie andauernd.

Gedankenspiele

Mich tagundnachtgleich zu fluten,
mich im fruchtigen wasser zu wälzen,
seifig aufzuerstehen, schaumgeboren
durch das Phantom des Schaumes.

Ruhende Waben, knistern,
sobald die Konstruktion zusammenbricht,
die Illsuion des Regenbogens,
durch Fett und Schmutz vernichtet,
torkelnde gedankenspiele
auf der bald verbarrikadierten Terrasse.

Telephon

still, weil kein Wind das Boot aus dem Klee hebt, 
rostig schmatzend, Lavendelburschen hinter Ginster
hervor beobachten nicht eine Bewegung, ihre
Gestalten grünen durch das Licht, Speerspitzen
auf das bewegungslose Schiff gerichtet, damit es
sich auch fürderhin nicht bewege, in mir brennt
dieser Sud und stößt auf, alles läuft über,
köpft die Töpfe, schäumt die Deckel weg, ich werde
geboren, klebrig, an mir der Schleim aus
Kacke, Pisse, Muttersaft, die Schnur
ins Universum, die Leitung steht,
es klingelt, ich geh ran

Schaufenstergefrierungen

Fresko: Es gibt die vielen Ungereimtheiten beim Anblick einer Szene wie dieser. Ich meine das Steingesicht, das seine Schatten über die Narben wölbt.
Zugig plempert die Sonne durch den Tag, in Lichtspitzen gekleidet das gelbe helle Ding, verströmt ein Plemper-Leuchten in dieser saumseligen Jahreszeit, Kräuterasche trägt träge Windes Algebra vor. Verfrorene Hüte bedecken wärmend Köpfe, damit diese eben nicht auch angefasst von Kältefingern in den nächsten Hauseingang stolpern müssen, den Regenabprall vor Schaufenstergefrierungen jedoch können sie nicht halten; wie im Spiegel daheim winkt da einer hinter mir mit kunterbunten Wollhandschuhen, ein sportliches Grinsen im ganzen Gesicht, ein Ballon mit Haarverlust sein Kopf. Falten, tief eingeprägt wie die Exerguen auf den karthagischen Münzen. Ich schließe mich an, denn die Bäckerei ist berühmt dafür, nächtliche Stürme wieder in die Flasche locken zu können, aus der sie zwar jeden Abend wieder entkommen werden, aber für den Moment …
Sonnensoll und Sonnenzins (zwölf Uhr mittags auf der Nachtseite des Mondes) backt die Erde jetzt doch frisch auf. Semmelbrand breitet schwarze Schwingen über raubmordende Täler. Libellenwaben, windelblau und aufgefaltet, flippern mit den neuesten Bällchen, die jüngst in das Sortiment aufgenommen wurden. Lupinenhonig, spreizgeblümt, steht auf jedem Tisch. »Täterätää!« Die Zungen betreten den Saal durchs Aluminiumtürchen neben dem Toilettentrakt. Es wäre mir auch diesmal ernst gewesen, aber ich erwache jedes Mal und frage mich, wo diese Bäckerei wohl steht. Die Antwort ist immer dieselbe: in meinem Labyrinth, das aus Schenkeln besteht, nackte weiße Haut, Mandarinenduft.

In der Kacke Blumen pflanzen

In der Tat will ich herausbrechen aus dem Immergleichen. Dass Hölle ewige Wiederholung ist, kann sich mittlerweile als Tropus sehen lassen. Ich trinke nicht mehr, ich rauche nicht mehr und habe auch nichts mehr übrig für das Insektengift Kaffee, das ich jahrhundertelang in mich hineingegossen habe. Die einzige Erkenntnis daraus ist die, kein Insekt zu sein. Ich schreibe selbst seit Monaten nicht mehr mit der Schreibmaschine, die seit eben dieser Zeit zugedeckt wie ein Walross im Flur steht. Ich kann die absolute Technokratie, die uns umgibt, kaum mehr ertragen, allerdings räume ich ein, dass sie der einzige Weg ist, allen die Seele zu entziehen. Sollten wir wirklich in diesem Jahr noch umziehen, werden wir alles, was nach 1970 gebaut wurde, auf den Müll werfen. Ich hätte noch nicht einmal etwas gegen einen Heizkessel einzuwenden. Am schlimmsten sind mir jedoch diese Scheißhäuser aus Blech auf den Straßen. Gebannt hoffe ich dieser Tage auf Fahrverbote, auch wenn Kempten davon nicht betroffen ist, aber wann immer eine Entscheidung gegen diesen schlimmen Feind meiner inneren Ruhe getroffen wird, dann erleichtert mich das. Oh ja, ich bin ein gewaltiger Feind des heutigen Automobils. Das Geklacker von Pferden und ein verschissener Gehsteig wäre mir hingegen sehr angenehm. Ich würde in der Kacke Blumen pflanzen.

Urlust

Manchmal reicht der Tag für eine einzige Strophe, die man getrost auch Absatz nennen darf. Wie bei Schuhen. Urlust des Scheinens. Die Säfte wallen auf, jede Begegnung ist total, damit sie einen Abdruck hinterlässt. Sprachlosigkeit hingegen ist nicht der Tag, an dem man keine Worte mehr findet, sondern der Tag, an dem die Sprache nichts mehr nützt.

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