Kult!

Kategorie: Brouillon (Seite 11 von 12)

der BROUILLON ist tagesgeschäft, nicht mehr als journaling über unwichtige persönliche befindlichkeiten.

Im Anderen gespeichert

In uns scheint immer auch der Andere gespeichert zu sein (so seine Form, so seine Gesänge), dem wir kaum zuerkennen können, nichts mit uns zu tun zu haben als die condicio humana, eine Ähnlichkeit, die ständig variiert, sich aber niemals gleich gestalten wird, sollte die Sehnsucht danach auch noch so groß sein. So trügt uns stets das Bild, weil wir uns über uns selbst schon irren. Wir irren uns jedoch nicht, wenn wir an allem Zweifeln – und vor allem an unserem Verstand.

Das Außergewöhnliche ist das Ideal.

Ich denke an einen Menschen und bilde mir ein, wie er in mir in einer bestimmten Form tätig ist. So nämlich sehe ich ihn, wie er leidet an meiner Unzulänglichkeit, einer von mir ausgelösten Welle; mich gekannt zu haben, bedeutet, einer dunklen Stelle nahe gewesen zu sein, von der man nichts wusste.

Gut Tisch will Weile haben

Gut Tisch will Weile haben. In meiner Klause gibt es zwar einen Tisch, aber den benötige ich für die Büroschreibmaschine, meine Zettel, Ablagen, Typoskripte. Anfangs ging ich dazu über, zum Essen alles wieder abzuräumen, aber das brachte mir entsetzliche Gemütszustände bei. Und irgendwann ging das dann nicht mehr, es wurde auf dem Boden gegessen.

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Changiere das rechte Ding

Fortschritt ist zunehmende Entropie; Veränderung, die nicht eigentlich den Fortschritt bezeichnet, sowieso. Genau genommen gibt es einen Fortschritt nicht, er bezieht sich nur auf zwanghaftes Verhalten. Veränderung hingegen kann ein notwendiger Umstand sein. Mit ihr ist gemeint, die Dinge willentlich in einen anderen Zustand zu überführen, denn Veränderung ist sekündlich, demnach nicht der Rede wert. Zwei große Zeitparzellen verzeichne ich : Das Fichtelgebirge der Abkunft; Das Allgäu des Bauern. Unterbrochen sind diese Zeitparzellen durch unablässiges Reisen und Stolpern, sowie mein Leben in der Schweiz. Ein kurzes Aufbegehren, das mich nicht Fuß (und Knöchel) fassen ließ, so sehr ich es auch versuchte. Dass ich je nur meine Ruhe wollte, um schreiben zu können, ist dem Erringen um jeden Preis zuzurechnen, ein wahrer Wettkampf mit den Unbilden einer im Grunde menschenverachtenden und seelenvernichtenden Gesellschaftsform. Nun, ich nehme das zur Kenntnis und setze meinen Weg fort. Sinnlos, nonkonform, aber unablässig. Standin’ at the crossroad, tried to flag a ride. Didn’t nobody seem to know me, babe, everybody pass me by. Betwixt and Between.

Von nicht geringer Konzentration

Es sollte also Johanniskraut sein gegen meinen fundamentalen Kummer. Aber ich löse mich in meine Bestandteile auf, wenn mir nicht etwas grundlegendes widerfährt. Doch liegt es am Zeitstrahl, dass ich, bevor ich meine Mitte erreichen kann, in den Orkus abdrifte. Ich habe mir schon oft überlegt, wie es kam, dass nichts kam, dass nichts wurde, wie ich das wohl geschafft haben könnte. Ohne Zutun freilich nicht, aber welches? Ich war doch stets ein Blatt Papier, das durch die Gegend geweht wurde. Ich war hier, um mir alles einmal anzusehen, zu befühlen. Aber ins Leben kam ich nie, es befand sich stets außerhalb von mir. Ich glotzte es an wie ein fremdes Wesen. Dabei kann man es zähmen, man kann es aber auch wild lassen. Mir widerfuhren die Dinge wie es der objektive Zufall vorschreibt. Erstaunliche Dinge, unmögliche Dinge. Genug für ein magisches Leben, genug zu behaupten, Surrealist gewesen zu sein. Von Handreichungen spreche ich gar nicht erst. Aber auf allen Wegen steht der Teufel, ich habe ihn gesehen.

Romantische Faszination

Die romantische Faszination für Somnambulismus, Hypnose, bzw, organischen Magnetismus beruht auf der Vorstellung, dass sich im Zustand des ausgeschalteten Bewusstseins das Geheimnis einer tieferen Verbindung des Individuums mit der Natur und dem kollektiven Unbewussten in einer immateriellen psychischen Dynamik enthüllen lassen.

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Paterson

Ashbery sagt über William Carlos Williams, daß er in einer offenen Form und in Alltagssprache dichte. Was mir bleibt, ist die offene Form, fern jeder Schematik, die fehlende Geschraubtheit, ja, durchaus. Aber in seinen Prosagedichten rafft er Horizonte zusammen.
Seite 107, Paterson: Der letzte Wolf wurde im Jahr 1723 in der Nähe des Weisse Huis erlegt. Das ist fast wörtlich ein Satz, den ich in die Sandsteinburg schrieb, nämlich so (Seite 101):
Der letzte Wolf wurde am 21. Juli 1882 bei Mehlmeisel von Martin Wiesend, einem Gasthofbesitzer, im Laufe einer Jagd erschossen.
Ashbery, geschult an Elizabeth Bishop, Marianne Moore, W.H. Auden, und eben Williams, bedeutet mir sprachlich mehr, aber Paterson bleibt mir als Langgedicht ein unvergessliches Erlebnis

Besorgungen um zehn

Ich gehe auf der Straße und gebe vor, ein Auto zu sein, was man mir scheinbar nicht abnimmt, sonst wäre kein Hupkonzert aufgekommen. Unbeeindruckt blinke ich (hat man kein recht auf Langsamfahrt?) nach alter Herren Sitte mit dem linken Arm. Ich muss gar nicht aussteigen, um den Laden zu betreten, bin bereits das Ausgestiegene höchstselbt. Heute bedient wieder die blonde, feiste Nachbarin, die nach ihrer Schwangerschaft vor über zehn Jahren nie wieder in eine gewisse Windschnittigkeit zurückfand. Außerdem gibt es ja noch das zweite, das jüngere Kind.

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Antwort von Frau Mayröcker

Antwort von Fr. Mayröcker, die mich ermutigt, ihr weiter zu schreiben. Es ist das für mich ein Tunnel, durch den ich kriechen kann, um all die Zeiten zu überbrücken, die ich nicht in 1. Instanz erleben konnte. Ich erlebe nach Hinten hinaus, während mich das Künftige mit dem Rücken ansaugt. Vor mir liegt die Vergangenheit. Das Problem an diesem Begriff ist seine Unschärfe.

Wieder etwas in der Zeit zurück

Ich gehe wieder etwas in der Zeit zurück und beschäftige mich mit Erzählungen des 19. Jahrhunderts, die ich eventuelle auch in der Klangschmiede aufnehmen will. Da bin ich nun bei Der Marquise von O… gelandet, diesem “Grundstock für das Kunstjournal Phöbus” (1807). Allerdings findet sich das Motiv der Erzählung bereits in Michel de Montaignes “Essay über die Trunksucht” – 1588. Ein ähnliches Thema behandelt Cervantes in der Novelle “Die Macht des Blutes”. Doch sind das nur stoffliche Verwandtschaften, Kleist vertiefte die Problematik auf seine Weise.

Blumenkasten

Die Zigarette fiel mir aus der Zigarettenspitze und verfing sich eine Etage tiefer im Blumengesteck der Nachbarn unter mir, die sich gerade in Spanien aufhalten, was dazu führte, dass es ganz und gar unmöglich war, sie wiederzubekommen. Dort hing sie im Grün und qualmte vor sich hin. Ich steckte eine neue auf und beobachtete diejenige, die als verloren gelten musste. So rauchten wir gemeinsam, der Blumenkasten und ich. Dass wir dabei schwiegen, war mir ein doppelter Genuss.

Redgauntlet

Wie die Hunde hängen sie heute am Wasser rum, die Stadt ist wie leergefegt. Ich verkrieche mich (niemals ohne Kaffee) in meinem abgedunkelten Arbeitszimmer. Mich wirft alles aus der Bahn, komme nicht vor acht Uhr aus dem Bett, sehe dann aus wie ein gemästeter Hering in der Sonne. An mein tägliches Bad ist in den letzten Wochen ohnehin nicht zu denken. Hantiere an Tableau No. 9 herum, wünsche mir das Fieber zurück. Der Herbst vor der Tür, mich freuts. Beruhige und zentriere mich mit Sir Walter Scotts aus dem Roman Redgauntlet ausgekoppelter Erzählung Wandering Willie’s Tale, mit seiner authentischen schottischen Idiomatik, der mehrfachen perspektivischen Brechung und der Detailgenauigkeit. Ein Glanzstück englischer Ezählkunst, ganz eigentlich Scotts Meisterwerk.

Schlafmähre

Dunkle Wasser; die Nacht :
schnell rast sie an,
um die Ecke der Häuser gewickelt.

Ankerplatz. Bis wir endlich
mit Gewalt auf diese Insel der Träume rückten,
in den Hafen, den sie Schlaf nennen, einbogen,
und stiegen bei dem Elfenbeintor an Land.

Doch jetzt noch Schlaf finden,
Gespenster in Kellern, ich mit ihnen. “Wo hin? –
Wo hin?”, der Wind nimmt die Verfolgung auf;
schlaf, ein Herz, doch vorher richte dir ein Lager! –

Die Schulter dagegen, diese Tür ist zu;
eine wird sich finden lassen.
Schlafmähre, Elfentraum, Couchemar,
Fell so weiß. die Abendgeräusche.

Die Vererbung ist ein Speicher für alle Erfolge, die das leben jemals errungen hat. Die Niederlagen werden vergessen. Kein Fehler bleibt im genetischen Code bewahrt. Durch diese Perseveranz lernt die Natur aus ihren Fehlern nicht und wiederholt sie andauernd.

In der Kacke Blumen pflanzen

In der Tat will ich herausbrechen aus dem Immergleichen. Dass Hölle ewige Wiederholung ist, kann sich mittlerweile als Tropus sehen lassen. Ich trinke nicht mehr, ich rauche nicht mehr und habe auch nichts mehr übrig für das Insektengift Kaffee, das ich jahrhundertelang in mich hineingegossen habe. Die einzige Erkenntnis daraus ist die, kein Insekt zu sein. Ich schreibe selbst seit Monaten nicht mehr mit der Schreibmaschine, die seit eben dieser Zeit zugedeckt wie ein Walross im Flur steht. Ich kann die absolute Technokratie, die uns umgibt, kaum mehr ertragen, allerdings räume ich ein, dass sie der einzige Weg ist, allen die Seele zu entziehen. Sollten wir wirklich in diesem Jahr noch umziehen, werden wir alles, was nach 1970 gebaut wurde, auf den Müll werfen. Ich hätte noch nicht einmal etwas gegen einen Heizkessel einzuwenden. Am schlimmsten sind mir jedoch diese Scheißhäuser aus Blech auf den Straßen. Gebannt hoffe ich dieser Tage auf Fahrverbote, auch wenn Kempten davon nicht betroffen ist, aber wann immer eine Entscheidung gegen diesen schlimmen Feind meiner inneren Ruhe getroffen wird, dann erleichtert mich das. Oh ja, ich bin ein gewaltiger Feind des heutigen Automobils. Das Geklacker von Pferden und ein verschissener Gehsteig wäre mir hingegen sehr angenehm. Ich würde in der Kacke Blumen pflanzen.

Urlust

Manchmal reicht der Tag für eine einzige Strophe, die man getrost auch Absatz nennen darf. Wie bei Schuhen. Urlust des Scheinens. Die Säfte wallen auf, jede Begegnung ist total, damit sie einen Abdruck hinterlässt. Sprachlosigkeit hingegen ist nicht der Tag, an dem man keine Worte mehr findet, sondern der Tag, an dem die Sprache nichts mehr nützt.

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